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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1967-03/0004
Dr. Robert Feger, Freibui;g:

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(Schluß.)

Sprecher 2: Trost in der Nüchternheit psychologischer
Überlegungen, — das hat Hebel der Freundin anzubieten.
Freilich war Hebel mit seinen nun 52 Jahren über das
Alter hinaus, da man mit Sentimentalitäten zu trösten
und auch zu reagieren pflegt, und es ehrt ihn, daß er
seine nüchterne Sicht unumwunden vorträgt. Und Gustave
war immerhin 44, — doch — (und das vergaß der ja
schon früh verwaiste Hebel) — Gustave hatte diese ganzen
44 Jahre ihres Lebens zusammen mit der Mutter verbracht
. Und sie hatte wohl außer ihrer Schwester niemand
, den sie als Ersatz für die Mutter hätte akzeptieren
können. An ihren Brüdern hatte sie keine Stütze; sie
machten ihr nur Sorgen. Und der Mann, den sie liebte
oder doch wenigstens einmal geliebt hatte und den sie
und vielleicht auch ihre Mutter bisweilen als den vorbestimmten
Lebensgefährten angesehen haben mochten, —
dieser Mann schickte jetzt nüchterne Trostworte statt
eines erklärenden Wortes der Zusammengehörigkeit.

Sprecher 1: Gustave mag dieses Wort endlich erwartet
haben, zu diesem Zeitpunkt ihrer äußersten Vereinsamung
wenigstens. Aber es kam nicht. Hat sie es tatsächlich
erwartet? Frauen sehen schärfer als Männer, und
Gustave hatte sich schon vorher darauf eingestellt gehabt,
allein zu bleiben und sich ein eigenes Wirkungsfeld zu
schaffen: Sie bemüht sich um die Not der Armen ihres
Umkreises — hierin finanziell bisweilen von Hebel unterstützt
—, sie gibt den Mädchen der Pfarrei hauswirt-
schaftlichen Unterricht, sie richtet ein Leseinstitut für sie
ein. Ja, sie versucht auch, gelegentlich die Gedanken der
Karlsruher Kirchenbehörde in Briefen an Hebel so zu
leiten, daß sie ihr genehme und nützlich gewesene Leute
auf Stellen präsentiere, die jenen genehm sind. So verwendet
sie sich für den Weiler Vikar Lepper, der nach
Güntterts Tod 1821 in Weil ausgeholfen hatte. Allein
Hebel läßt sich dergleichen nicht gefallen; er kehrt die
Behörde heraus und erklärt der alten Freundin zunächst
frei heraus:

Hebel: Das Schicksal, das Herr Vikar Lepper befürchtete,
war nicht abzuwenden. Er ist zum Aushelfen nach Hasel
bestimmt... Es ist mir leid, daß Ihre Wünsche für ihn,
die eben dadurch auch die meinigen geworden waren,
nicht konnten erfüllt werden. Doch will ich Ihnen nun
gestehen, was ich oft gedacht habe, was ich Ihnen aber
nicht gesagt hätte, wenn es, anders hätte gehen können.
Sie hegen eine. sehr zarte Teilnahme für Ihren guten
Pflegesohn und er ist mir sehr wert darum, daß er's an
Ihnen verdient hat. Indessen muß ein junger Mann sich
so etwas gefallen lassen, wenn er es wohl auch anders
haben - möchte. Dafür haben wir uns der Kirche gewid-
met, daß wir der Kirche dienen, nicht wo es uns am
behaglichsten scheint — sonst dienen wir uns —, sondern
wo sie unser bedarf, und mit wem sein Schicksal es gut
meint, dem fahrt es bisweilen schon in der Jugend durch
den Sinn, damit er es später überstanden habe oder
gewöhnt sei...

Sprecher 2: So weist zunächst 1822 der Prälat Hebel die
Einmischung der Freundin in behördliche Maßnahmen
zurück. Die eigenen Erinnerungen Hebels an die langen,
von der Behörde vergessenen Jahre in Lörrach mögen
mitgespielt haben. Vielleicht auch ein bißchen Eifersucht.

Aber ein Jahr später meldet der Prälat der Freundin
doch, daß Lepper die Stelle, um die er selbst eingegeben
hatte, erhalten habe. Hebel verpackt diese Mitteilung in
einen Brief, der die für Gustave doch interessante Nachricht
immer wieder ankündigt, aber jedesmal zurückhält,
um sie erst am Schlüsse preiszugeben. Der Brief, auch
an sich ein Zeugnis von Hebels launigem Altersbriefstil
— er entwickelt daneben auch eine sehr förmliche, abweisende
und reservierte Briefsprache — möge zur
Gänze hier folgen:

Hebel: Ich weiß zwar wohl, wer mit Sehnsucht auf ein
Brieflein wartet und gern wissen möchte, wie es Ihnen
geht. Aber derselbige nimmt es nicht so genau, zumal er
Ihnen etwas von Herrn Lepper sagen kann. Aber ich
sag's noch nicht gleich. Was geben Sie mir, wenn ich es
sage? Ein Schmutz? Oppen zwei? Aber es könnte ja
etwas ganz Gleichgültiges sein, z. B. daß seine Schwester
niedergekommen wäre oder daß er in Heidelberg gepredigt
hätte. Nun, ich will es denn sa—, nein, ich sag es
noch nicht. Weil ich nun in diesem Jahr schwerlich mehr
an Sie schreiben werde, so begleite Sie dieses Brieflein
mit den besten Wünschen in das neue Jahr. Möge es
Ihnen viel Wohlsein und Freude bereiten. Doch schicke
ich Ihnen vielleicht vorher noch meine Biblische Geschichte
, die ich jeden Tag erwarte, etwas für ein frommes
Patenkind oder lieber für ein recht böses, damit es daraus
lerne fromm werden und Ihnen Freude machen. —
Also der Herr Lepper hat sich, wie Sie wissen werden,
um Wieslet gemeldet und es hat sich unterdessen schon
manches zugetragen, was Sie indessen weniger interessiert
. Mit mir geht es immer im Alten fort. Nämlich,
daß es eben nimmer ist wie allmig, wo ich einst mit
leichtem Fuß vom Belchen herabsprang uncl iri Wieslet
bei dem Bläsischaffner ein Schöpplein trank. Zwar mit
dem Schöppleintrinken geht es noch, und Ihr guter Lepper
hat jetzt zu meiner Freude, die auch die Ihrige sein
wird, Wieslet davongetragen, aber das Springen habe ich
verlernt. Ich wunderte mich, daß er nicht auf ein Plätzlein
in der Pfalz gewartet. Aber es muÖ doch eben in
der Pfalz kein Oberland geben, und der Wunsch, Ihnen
nahe zu sein, viel zu seiner Entschließung beigetragen
haben. — Die Nacht kommt. Die Post will fort. Herzlich
Ihr Freund Hebel.

Sprecher 2: Die Nacht kam, unaufhaltbar. Hebel spürte
es. Schon lange Jahre vor diesem Brief vom 20. Dezember
1823. Die Nacht kam auf den Prälaten zu. Zwar
mochte es angehen, daß mit den erworbenen und verliehenen
Würden und Ämtern auch die Verpflichtungen,
die Bürde der Geschäfte und die Einsamkeit des Mannes
aus dem Oberland wuchsen. Aber auch der Körper wurde
hinfälliger und die Krankheiten und Beschwerden des
Leibes mehrten sich. War es ehedem Gustave gewesen,
die über ihre Krankheiten und Wehwehchen klagte, so
mehren sich in den letzten Lebensjahren die Berichte
und Klagen Hebels über seinen Gesundheitszustand. Und
war es früher in der Mitte des Briefwechsels Gustave
gewesen, die über das Ausbleiben der Briefe des Geliebten
oder Freundes schmälte, so ist es gegen Ende des
Briefwechsels umgekehrt Hebel, der Gustaves Säumigkeit
im Briefschreiben bemängelt und der sehnsüchtig auf
Nachrichten aus dem Oberland wartet. Aber noch mehr:
Je einsamer es um den altgewordenen Hebel trotz dem

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