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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1967-05/0005
und der Schmerz der Trennung. Doch ist auch dies alles
zart und schön berührt und umschrieben, wie nur der
Briefschreiber Hebel es kann. Schon am 8. November 1809
schreibt er an die Schauspielerin:

Hebel: Lange hätt ich es ohnehin nimmer ausgehalten,
ohne an Sie zu schreiben. Seit Sie uns verlassen haben,
ist mir halb Karlsruhe ausgestorben...

Sprecher 1: Auch über das ihm überlassene Eichhörnchenwird
berichtet. Bei der Gelegenheit fällt dem Dichter
ein Vers aus Vergils 4. Ekloge ein, den er aus dem Gedächtnis
zitiert. Der Vers bezieht sich zwar auf das Eichhörnchen
, ist aber insofern eine tiefenpsychologische
Leistung, als er sich ebensowohl auf Hebel anwenden
läßt:

Hebel: ... quem Deus nec mensa, nec Dea dignata cubi-
list.. den weder ein Gott seines Tischs noch eine Göttin
ihres Lagers gewürdigt.

Sprecher 1: Zehn Tage später schreibt Hebel der Geliebten
:

Hebel: Sie kommen doch wieder, und bald? Täglich werde
ich gefragt, und eh ich gestehe, daß ich's selber
nicht weiß, lüge ich und mache kürzere und längere Termine
, jenachdem ich dem Fragenden gut oder nicht gut
bin, und ihnen gerne etwas Angenehmes oder Unangenehmes
sage. Lassen Sie. mich ja bei den Guten nicht
stecken...

Sprecher 1: Hebel läßt sich in jenen Tagen auch porträtieren
und berichtet der Schauspielerin davon; das Porträt
ist also wahrscheinlich für sie bestimmt. In Briefen
an Frau Haufe gesteht er während des nächsten Jahres
1810, wie sehr er in Henriette Hendel verliebt gewesen
sei und nennt sie seine zehnte Muse. Aber während
Hebel erinnerungsselig und wehmütig über die Begegnung
Kirchenrat — Schauspielerin nachsinnt und im
übrigen in gewohnter Weise alles beim Alten läßt, hat
Madame Hendel längst gehandelt. Beim Aufenthalt in
Darmstadt gewinnt sie die Zuneigung eines jungen
Mannes, Theodor von Haupt, aber auch das führt nicht
zu dem Ziel, das die Schauspielerin im Sinn hatte. In
Halle sodann schließt sie ihre vierte Ehe mit einem
früheren Bekannten, dem Professor Friedrich Karl
Schütz, dessen Namen sie ihrem jetzigen, vom dritten
Gatten genommenen, hinzufügt. Hebel berichtet dieses
Ereignis, das ihn zweifellos hart getroffen hat, im April
1811 an Haufe nach Straßburg. Er tut es halb wehmütig,
halb selbstironisch, bezeichnet sich als einen Gestrandeten
und formt den Brief stellenweise zur Versepistel:

Hebel: Ach, auf Freuden / folgen Leiden,
auf die Sünden harte Büß.

Daß ich's sagen, J daß ich's klagen,

Götter, daß es wahr sein muß!

Die durch ihre Rosenwangen,

durch der Lippe Red und Kuß,

durch ihr zärtliches Umfangen

fest mein armes Herz gefangen,

daß es ewig zappeln muß,

daß es brennt wie Doktor Huß, —

beut nun ihre holden Wangen

einem anderen zum Kuß.

Hat das Sakrament empfangen,

das zum heimlichsten Genuß

jede Liebe weihen muß,

und hat schon ein Kind empfangen.

Sie hat nemiich,«.. d}ie gelbenedeite Tochter Kronions,
Madame Hendel, zerrissen hat sie den Bendel, und sich
in den Stand der vierten heiligen Ehe begeben mit Herrn
Professor Schütz in Halle. Und da soll man noch an einem
Schuhmacherstühlein drechseln ...

Sprecher 1: Im Brief an Hitzig wird die Hochzeitsmel-
dung ganz beiläufig mit einem Nebensatz abgetan, wobei
Professor Schütz — möglicherweise wieder eine psychologische
Fehlleistung von Rang, denn zweifellos zählt sich
Hebel sozusagen mit! — als der „fünfte" Gatte der Madame
Hendel bezeichnet wird. Ein sarkastischer Tadel an
die Adresse der Schauspielerin wird im gleichen Nebensatz
in einem Adjektiv versteckt: Schütz wird als „ der
fünfte und derweilige Gatte angegeben. Auch rückt er
die ihm nun Entrückte noch weiter von sich weg,
.indem er sie näher vorstellen zu müssen glaubt als
Schwiegermutter des Adjunkts; Kölle, der Adjunkt geheißene
, hatte sich einmal in das Porträt des Töchterchens
von Madame Hendel-Schütz verliebt. Mit Henriette
Hendel und deren Gatten bleibt Hebel weiterhin in
Briefwechsel, der sich um allgemeine Dinge dreht, um
Literarisches, um Fragen nach den Kindern des Paares,
um die Berufsausübung. Selbst die nüchternen Dinge
aber bleiben ihm stets noch überglänzt von der Erinnerung
an die schönen Tage, da die Schauspielerin in
Karlsruhe mit ihm zusammengetroffen war. Es scheint
fast, daß den Alternden, unter der Bürde seiner Dienstgeschäfte
Stöhnenden und mehr und mehr von körperlichen
Gebrechen Heimgesuchten immer mehr der Gedanke
getröstet hat, der erzwungene Verzicht auf die Angebetete
habe ihm für den Ausgang seines Lebens doch auch
manche Unruhe erspart. Wenn er überhaupt im Ernst
je daran gedacht hat, die Schauspielerin zu seiner Frau
zu machen. Vielleicht hat es ihm auch genügt, wenigstens
nur beinahe aus dem Fenster gefallen zu sein und nicht
auch aus allen Wolken seiner Illusion eines Verliebten.

Dr Werner Fischer, Meßkirch: f^^btl ÜbtH W(Ü[[[jt\TT\(tV)

Johann Peter Hebel kannte Müllheim.

Wir wissen das alle, entweder aus dem Schulbuch
oder aber aus dem (hoffentlich) abgegriffenen Band,
der nicht weit von der Bibel auf dem Bücherbrett steht
und Hebels gesammelte Werke enthält. Wir lernten als
Kinder das Gedicht Der Schwarzwälder im Breisgau
auswendig, dessen erste Strophe so lautet: Z'Müllen an
der Post, Tausigsappermost! Trinkt mer nit e guete
Wii! Goht er nit wie Baumöl ii, z'Müllen an der Post!

Wir sangen es als Lied in der Schule, in der Familie,
im Gesangverein. Und wir lesen in der Erzählung Der
schlaue Pilgrim die folgenden Eingangssätze: Vor einigen
Jahren zog ein Müßiggänger durch das Land, der
sich für einen frommen Pilgrim ausgab, gab vor, er
komme von Paderborn und laufe geradewegs zum Heiligen
Grab nach Jerusalem, fragte schon in Müllheim an
der Post: Wie weit ist es noch nach Jerusalem? Und
wenn man ihm sagte: Siebenhundert Stunden; aber

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