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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1967-07/0005
vor allem aber für seine Ansicht über volkstümliche
Schriftstellerei überhaupt. Es enthält geradezu eine
schriftstellerische Kunstlehre. Doch es soll nicht vorgegriffen
werden. Hören wir zunächst, was Hebel zu dem
Buche Schmids zu sagen wußte!

Sprecher: Hebel hat in diesem Betracht zwei Anliegen.
Einmal spricht er der Schmidschen Bibelgeschichte die
Popularität ab. Zum andern bemängelt er, daß das Buch
von einem Katholiken geschrieben ist. Diese beiden Beanstandungen
stellt Hebel lapidar voraus. Zu Punkt eins
heißt es:

Hebel: Da bei weitem die meisten unserer Schulen Dorfschulen
sind, und bei weitem die meisten Kinder selbst

*

in Stadtschulen der gemeinen Volksklasse angehören, so
muß der Verfasser einer Biblischen Geschichte für die
Schuljugend vor allen Dingen wissen, nicht nur verständlich
, sondern auch populär zu sein. Er muß sogar gut
erzählen — gut für Kinder erzählen können...

Sprecher: Der nächste Passus leitet schon zu Punkt zwei
über:

Hebel: ... Der Verfasser muß das Materiale der Geschichte
auf religiöse Geistes- und Gemütsbildung klug und
psychologisch zu berechnen und zu benutzen wissen, und
wenn er ein Katholik ist —

Sprecher: — und damit ist Hebel beim Punkt zwei angekommen
:

Hebel: — und wenn er ein Katholik ist, so muß wenigstens
ein starker und durchgreifender Grund vorhanden
sein, warum man für die protestantischen Schulen eines
ganzen Landes nicht ein ähnliches für protestantische
Schulen geschriebenes Buch gewählt hat...

Sprecher: So die Exposition des Hebeischen Gutachtens.
In der Ausführung der angedeuteten Gesichtspunkte beginnt
Hebel mit dem ersten, dem ästhetisch-literatur-
kritischen. Und hier äußert der protestantische Kirchenrat
, der so eifersüchtig über das Konfessionsprestige
wacht, gleich zu Beginn Grundlegendes, Einzigartiges.
Äußert Gedanken, die abstrakt formulieren, was Hebel
in seiner schriftstellerischen Arbeit in concreto bisher
schon befolgt und durchgeführt hatte. Hebel sagt:

Hebel: Schmidt scheint aber erstens nicht bekannt zu sein
mit jener echten und edlen Popularität, die zwischen gebildeten
und ungebildeten Lesern keinen Unterschied
erkennend aus dem Menschen hervorgeht und den Men-
sehen erfaßt, weil sie alles, was sie zu geben hat, zur klaren
Anschauung bringt, — nur durch Einfachheit und
Natur, nicht durch konventionelle Schönheiten im Ausdruck
gefallen will, und nur auf jene, nie auf diese ihre
Effekte berechnet. Ihre Schreibart verschmäht jeden unnötigen
Wortaufwand, sie ist gediegen, kräftig und würdig.
Um sich zu überzeugen, ob es die Schmidtische auch sei,
vergleiche man fast jede Stelle, jeden Spruch, wie er in
Schmidt und wie er in der Bibel steht, dem Muster der
Popularität...

Sprecher: So stellt Hebel recht eigentlich die Bibel als
literarisches Vorbild hin. Von diesem Vorbild ausgehend
beginnt er Schmids Stil zu kritisieren. Er setzt dabei an
einer Stelle an, wo man seinen — Hebels — eigenen
volkstümlichen Stil mit dem Schmids verwechseln
könnte. Hebel sagt:

Hebel: Schmid erlaubt sich viele Nachlässigkeiten im
Stil, vielleicht absichtlich! Aber es gehört ein geübter
Takt dazu und eine vertraute Bekanntschaft mit der
menschlichen Sprache, um nicht scheinbare Nachlässigkeiten
, die den Effekt erhöhen, mit den wirklichen zu
verwechseln, die ihn fast allemal schwächen...

Sprecher: Schöner und treffsicherer hat Hebel nirgend
sonst den Stil seiner Kalendergeschichten verteidigt. Hebel
will, daß das populäre Schreiben dem Verfasser unmittelbar
aus dem Herzen komme. Daß er nicfyt erst, um
sich dem Nichtgebildeten verständlich zu machen, für
diesen erst Übersetzungen aus seiner, des Gebildeten
Sphäre, herstellen dürfe. Ein solcher Übersetzungsprozeß
aber verrate sich bei Schmid, sagt Hebel, —

Hebel: — durch gar manche Ausdrücke, die in der Volkssprache
ganz unüblich, unklassisch, unverstanden sind,—
durch unpopuläre Inversionen, — durch unnötige Parenthesen
, — durch häufige Tropen aus der sogenannten
Kraftsprache, z.B.: „Sie war ganz Freude, ganz Liebe,
ganz Gebet", — Formen, zu denen der schlichte kühle
Mensch lacht, und die ich selbst im gebildeten Stil nie
billigen würde ...

Sprecher: Kraftsprache — das ist eine vielleicht original
Hebelische Wortprägung. Der Ausdruck will die pathetische
Rede bezeichnen, die in Hebels literarischer Werkstatt
keinen Platz hatte. Nach solchen grundsätzlichen
Ausstellungen und Forderungen zur Stilistik merkt Hebel
dem Schmidschen Buche besondere Fehler im Epischen
an:

Hebel: Auch im erzählenden Ton dürfte Schmid nicht
das vorzüglichste Muster sein. Zum Nachteil für die Aufmerksamkeit
und für das Interesse an der Geschichte mag
er lieber zeichnen und malen, reflektieren und bis auf
die letzte Faser zergliedern als erzählen...

Sprecher: Hebel präzisiert diese Maximen des epischen
Schreibens sogleich. Auch er fordert Einzelheiten, — aber
begründete:

Hebel: Es ist wahr: Jede Erzählung, wenn sie interessieren
soll, muß in ein gewisses Detail gehen. Aber Schmidt
ximgeht so oft, wie absichtlich, die Data, die ihm die Bibel
dazu bietet, und umgibt dagegen die Haupthandlung mit
Umständen, die sich zu sehr von selbst verstehen als daß
sie interessieren könnten, — oder er supponiert etwas,
wozu wir, wenigstens wir Protestanten, keine Quellen
haben...

Sprecher: Mit den letzten Bemerkungen hat Hebel den
literarischen Bereich verlassen und schon den konfessionell
-katechetischen gestreift. Noch tiefer in die Katechese
greifen die nächsten Sätze des Gutachtens ein; es sind
Erweiterungen eines Gedankens, der sich auch in dem
eingangs zitierten Brief schon fand. Hebel meint:

Hebel: Der Verfasser hat sich wirklich ein anderes Alter
seiner Leser gedacht. Wenigstens glaubt man, wo er noch
am besten gefällt, fast immer eine Mutter zu hören, die
ihrem sechsjährigen Kinde die Geschichte lieb und anziehend
zu machen sucht. Die unsrigen aber sind 10 bis 14
Jahre alt, und wie sehr wäre zu wünschen, daß sie das
Buch auch mit dem 14ten noch nicht aus den Händen
legen möchten ...

Sprecher: So ein mehr äußerlicher katechetischer Gesichtspunkt
. Sogleich folgt innerer, methodischer: Hebel
wendet sich gegen allzustarkes Moralisieren:

Hebel: Auch an der Behandlungsart der Geschichte für
religiöse Zwecke möchte ich folgendes tadeln: a) Schmidt
sucht und zieht die Gelegenheiten dazu zu sehr herbei.
Man kann auch des Guten zuviel tun.—b) Er stellt Jesum
als das vollkommenste Muster der Nachahmung geradein
derjenigen Periode seines Lebens auf, aus welcher wir

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