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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1967-07/0015
Grabtafeln und Bäume, Gras, Moos und Flechten,
niedriges Gesträuch, scheinen im Verlauf der
Jahrhunderte zu einer untrennbaren Einheit zusammengewachsen
zu sein. In diesem ehrwürdigen
Friedhof ist in seinem alten Teil nichts mehr
von der pedantischen Art zu sehen, das einzelne
Grab jeweils für sich einzufassen, gewissermaßen
von der Nachbarschaft zu trennen, um noch
im Reich djer Toten die trennende Ungleichheit
zu erhalten, wie es leider auf modernen Friedhöfen
der Brauch geworden ist. Die allmächtige
Zeit hat hier das ihre getan und einen einheitlichen
Rasen über allen Toten gebreitet. Das ziemlich
steil abfallende Gelände hat die Gemeinde
im neuen, rechten Teil des Friedhofes zur Schaffung
einer eigenartigen Anlage gezwungen: zur
Anlegung von terrassenartigen Einzelfriedhöfen,
zu denen man jeweils über eine Anzahl von Treppen
gelangt. Im obersten Teil befinden sich die
Kindergräber. Die Treppen selbst sind von einer
Lindenallee eingefaßt, welche den Friedhof in
eine rechte und linke Hälfte teilt.

Die Gräberreihen entlang gehend, stoßen wir
auf Inschriften, im alten Teil nur hebräischer, im
neuen hebräischer und deutscher Text. Bei den
alten Steinen ist gewöhnlich außer dem Namen
und einer sog. Eulogie nur der Todestag angegeben
, nicht der Geburtstag. Die neueren Steine
zeigen nicht mehr die einfache Geschlossenheit,
sondern eine Steigerung des Ausmaßes der Ornamentik
, gewissermaßen das Gepräge der Zeit:
Unruhe und Zerrissenheit.

Wir denken an die Menschen, die hier in diesem
schönen Waldfriedhof zur letzten Ruhe gebettet
sind und deren Leben, wie jedes Menschenleben
, in ein Meer von Freude und Leid getaucht
war. Fünf Rabbiner sind auf dem Sulzburger
Judenfriedhof begraben: Landrabbiner
David Kahn, gest. 1744; sein Sohn Landrabbiner
Isaak Kahn, gest. 1797, in einem Ehrengrab;
Rabbiner Moses Wurmser von Bollweiler (Elsaß)
später Breisach und Müllheim, gest. 1826; Rabbiner
Abraham Weil, gest. 1832 und der letzte
Rabbiner (Symbolik auf dem Grabstein ein Buch)
Emanuel Dreyfus, gest. 1886.

Steigen wir die steile Treppe durch den Friedhof
hinauf und schauen von der obersten Stufe
auf die Zeugen verschiedener Jahrhunderte hinab
, die der Tod vereinigt hat, so erinnern Wir uns
der gefühlvollen Beschreibung dieses Totenhains
durch den badischen Dichter Franz Schneller:
„Auf ihr niedersteigend, könnte die Königin der
Nacht ihre Arie aus Mozarts Zauber flöte singen."

Den Eingang des Friedhofes bildet eine alte
wohl um 1717 angelegte Begräbnishalle, die in
ihrem einfachen Fachwerkbau gut in das Gelände
paßt. Sie bietet etwa Platz für 30 Personen. Noch
ein kurzes Wort zur Beerdigung in früheren Zeiten
. Die Toten wurden oft bald nach ihrem Hinscheiden
nach Sonnenuntiergang (die menschliche
Leiche wird als unrein angesehen, Moses XIX
Nr. 11—16) abends 7 Uhr, sogar 8 und 9 Uhr
abends oder morgens 6 Uhr beerdigt, eine Maßnahme
, die später von der Regierung verboten
wurde.

Es mag nicht ganz uninteressant sein, in diesem
Zusammenhang noch von einigen Gebräuchen
bei Begräbnissen zu erzählen, die in Sulzburg
ausgeübt wurden: Bei einem Begräbnis
ging der Trauerzug zum alten jüdischen Friedhof,
wobei Neffen und Vettern, falls der Verstorbene
zur „Sippe" der Familie Kahn gehörte, den Friedhof
nicht betreten durften, sondern außerhalb
des Friedhofes, an der Mauer standen. Denn
Mitgliedern der Familie Kahn war die Anwesenheit
auf dem Friedhof außer beim Tode des Vaters
, Sohnes oder Bruders verboten (Verbot der
Verunreinigung vor einem Toten). Im Trauerhaus
selbst saßen die Trauernden auf niederen
Stühlen und die Frauen trugen zum Zeichen der
Trauer ähnlich wie die Nonnen Linnen-Hauben.
Den auswärtigen Juden war dieser Brauch fremd,
auch der nachmalige Freiburger Rabbiner, der
überall herumkam, kannte ihn nicht. Rabbiner
Adolf Lewin soll später mit Hilfe eines Gelehrten
gefunden haben, daß es der mittelalterliche
„Sturz" war, den die konservativen Sulzburger
Frauen noch immer in der Trauerzeit von 7 Tagen
trugen. Die Frauen begleiteten den Trauerkondukt
höchstens bis zur ersten Brücke vor der
Badstraße, wo ein Waschbecken zum Reinigen
der Hände stand (aus obengenannten Gründen).
Beim Abgang vom Trauerhause standen die
Frauen in der Regel unter der Regentrauf e des
Hauses. Im Trauerhause selbst (heute noch in vielen
jüdischen Häusern gebräuchlich) waren alle
Spiegel mit einem Tuch verhängt (die Trauernden
sollen nicht ihre betrübten Gesichter sehen). Die
Angehörigen und Freunde sandten gleich nach
der Beerdigung den Trauernden etwas zum
Essen, vielfach Kuchen, damit die Trauerfamilie,
die keine Zeit und Gedanken für Kochen hatte,
„nicht von Kräften kam." Dies alles sind jüdische
Gebräuche, die leider immer mehr verschwinden
, denen aber besonders in diesen alten Landgemeinden
streng nachgelebt wurde. Ein Trauerfall
wurde den Gemeindeangehörigen durch
Klopfen an das Fenster seitens des Synagogendieners
mitgeteilt. Unnötig zu sagen, daß bei einem
Trauerfall das ganze Städtchen Sulzburg,
also* auch die christliche Bevölkerung, innige Anteilnahme
bekundete. Die sog. Totenwaschung
fand im Sterbehause statt. Heute ist dies nicht
mehr gestattet und wird in der Friedhofhalle
durchgeführt, wo eine besondere Kammer hierfür
eingerichtet ist (14).

Von 1677 bis 1709 sehen wir Friedrich Magnus
das Markgrafenzepter führen. Während seiner
ganzen Regierungszeit herrschte im Lande eine
schwere Kriegsnot. Nach dem Ryswicker Frieden
von 1697 wollte Friedrich Magnus, zumal viele
Juden während der Kriegsunruhen außer Landes
gegangen waren, keinen Juden mehr die Bewilligung
zum Aufenthalt in den badischen Landen
erteilen. Selbst fremden Juden sollte kein
Handelsgeleit mehr gegeben werden. Einen diesbezüglichen
fürstlichen Erlaß brachte er aber
nicht zur Ausführung, als ihm bedeutet wurde,
die Bauern brauchten die Juden, um ihnen ihr

14) freundliche Mitteilung der 87jährigen, heute in Australien lebenden
Frau Rösli Strauß-Kahn.

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