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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1967-10/0009
16to

„An dem hl. Palmsonntag undt hl. Carfreytag
hat mir ein Schneidergesell bey der Procession
undt an dem Gottesdienst helfen singen; da hat
Ambtmann Steinmetz, da er solches erfahren,
alsohald dem Vogt befohlen, dem Schneider zu
sagen, er solle ohne Verzug das Dorf meiden,
oder man werde ihn mit den Hatschieren fort-
fiehren.

17mo

Item hat der Vogt dem Barbiergesellen befohlen
, nicht mehr zu ministrieren bey dem Altar
oder sonst seinen Dienst in der Kirchen leisten
."

Hier enden die Aufzeichnungen einer dauernden
Qual. Der Name des Verfassers dieser unterschiedlichen
Neuigkeiten ist nicht genannt.
Es scheint uns auch nicht vonnöten zu
sein. Das unbedeutende, nicht über den engsten

Rahmen hinaus reichende Geschehen wird dadurch
einer persönlichen Rubrizierung entzogen
und ins Allgemein-Menschliche gerückt. Vielleicht
ergötzt es uns gar; vielleicht beschämt es
uns auch, weil wir irgendwie ein Teilchen unsrer
selbst erkennen. Es ist nicht die ganze Summe
des menschlichen Wesens, was hier enthüllt wird,
auch nicht eines einzelnen Menschen. Das Jahr
1759 war nicht nur das Jahr dieses kleinlichen
zermürbenden Haders, es ist auch das Geburtsjahr
Friedrich von Schillers, es ist das Vorjahr
der Geburt von Johann Peter Hebel, Haydn
schrieb in diesem Jahr eine seiner herrlichen
Symphonien.

Recht wird zu Unrecht, wenn es durch die
Kälte persönlichen Geltungsstrebens und eisigen
Denkens erstarrt; Recht wird erst zu wirklichem
Recht, wenn es durch die warme Klarheit der
Güte ins Leben tritt.

Ludwig Kahn, Basel:

jöxz <$efttji'ctjte bei: Jvfozn uon (Duisburg

(Fortsetzung)

Die strengen rituellen Vorschriften griffen
tief in die geistige und materielle Lage der Juden
ein. Sulzburg gehörte von Alters her zu den sog.
orthodoxen, d. h. konservativen, frommen Gemeinden
, die es mit der Ausübung der von der
Religion verlangten Gebote sehr ernst nahmen.
Die Religionsvorschriften verlangten in der Haushaltung
die strengste Scheidung der Milch- und
Fleischspeisen neben der Einhaltung des Genusses
von nur „koscheren" Speisen. Für beides
hatte man besondere Geschirre, Teller, Messer,
Gabeln und Töpfe, auch für die Osterfeiertage
wurde in besonderem Geschirr gekocht, das während
des übrigen Jahres nicht verwendet werden
durfte. Am Sabbat durfte kein Licht angemacht
werden; christliche Lohnfrauen hielten auch in
Sulzburg ihren Umgang, die Lichter zu putzen
und die Öfen zu schüren; daher wurde die Anwendung
der sog. „Sabbatlampen" bei allen Juden
eine Notwendigkeit. Am Sabbat herrschte im
jüdischen Sulzburg vollständige Ruhe, allerdings
am Sonntag weniger, und das. Pfarrbuch berichtet
über Klagen der christlichen Bevölkerung, die
jüdischen Weinhändler Sulzburgs wässerten am
Sonntag ihre Fässer ein und störten mit dem
Durchzug ihrer Faßwagen die sonntägliche Ruhe,
worauf die Juden entgegneten, dafür verhielten
sie sich am Samstag ruhig!

Die Wochen während des Jahres lebte man
sehr einfach, zumal viele Handelstreibende über
Land zogen, sich selbst koscher verpflegten und
erst am Freitag nachmittag vor Beginn des Sabbats
wieder nach Sulzburg heim kamen, Freitag
abend war dann ein Familienfreudenfest. Mit den
Werktagskleidern wurde auch der Werktagsstaub
mit allen seinen täglichen Mühen und
Drangsalen abgestreift, man verwandelte sich in
einen „Feiertagsmensch." Die große Stube im
Hause sah festlich aus, der Tannenboden war
frisch geputzt mit Sand bestreut, daß es knirschte
und krachte. Der Kachelofen spendete eine behagliche
Wärme im Winter. Das Feiertagsessen,
nachdem die üblichen Segenssprüche gesprochen

worden waren, bestand gewöhnlich in den meisten
Judenfamilien in Nudelsuppe, kalte und
scharfe Fische (Sabbat als Vorempfinden der
messianischen Zeit, die eintritt, wenn der Liwja-
tan, der König der Fische, getötet wird), Suppenfleisch
mit Beilagen, „Bowle" oder Torte. Auch
das selbstgemachte Nußwasser und der Sulzburger
„Kastelbergerwein" durften auf der festlich
gedeckten Tafel nicht fehlen. In dieser „Welt von
Gestern" wurde der Freitag Abend und der
Samstag gebührend gefeiert. Ferner kochte man
am Freitag die Speisen vor, um am Sabbat kein
Feuer anzünden zu müssen; die Nahrung wurde
dann auf einem Holzkohleofen, dem sog. „Stubchen
" warm gehalten.

In dieser Gemeinschaft, wo jeder jeden kannte
, nahm man an jedem festlichen oder traurigen
Ereignis eines Mitgliedes teil. Starb ein Mitglied
der Gemeinde, so wurde dies wie bereits erwähnt,
durch Klopfen an den Fensterläden seitens des
Synagogendieners bekannt gegeben, ebenso wenn
es Zeit zum Frühgottesdienst war (sog. „Schulklopfer
"). Am Samstagabend nach Feiertagsab-
schluß herrschte in der Judenwirtschaft zum
„Wilden Mann" Hochbetrieb. Bis weit um Sulzburg
herum war der mit „Liebe" zubereitete
Kartoffelsalat der Judenwirtin bekannt. Im
„Wilden Mann" spielten die Israeliten das be-*
kannte badische Kartenspiel „Zego", man unterhielt
sich über die Familien-, Gemeinde- und
politischen Angelegenheiten, d. h. wie an jedem
Wirtshaustisch wurde „politisiert." Oft waren
auch Verwandte, besonders aus dem nahen Elsaß
zu Besuch in Sulzburg.

Die Juden Sulzburgs waren ihren christl. Nachbarn
oft nur nach ihren jüdischen Namen oder
überhaupt nach Ubernamen bekannt. Da war der
„Schmaje" (Simon), der „Zallele" (Salomon), da
war der „Fischjud", der mit Fischen, der „Woll-
jud", der mit Wolle handelte, da war der „Gra-
ben-Mausche", der am Graben wohnte und als
Geldvexleiher bekannt war, da war der „Roth-

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