Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1967-11/0005
gentlich will er eine Landpfarrei? Besser: Weshalb träumt
er von einer Landpfarrei? Wie stellte er sich das Dasein
eines Landpfarrers vor? Hat er sie wirklich gewollt?
Oder nur erträumt?

Sprecher 1: Fragen über Fragen. Alle sind sie durch die
Briefe Hebels aufgeworfen, alle sind sie aber auch durch
die Briefe Hebels beantwortet. Durch die Briefe und
durch einen Predigtentwurf, der nie vor einer Gemeinde
zu einer wirklichen Predigt gesprochen wurde. Gründe,
Inhalte und Wandlungen des Wunsches nach einer Landpfarrei
zeigen sich in den Sätzen, die der Briefschreiber
Hebel an seine Freunde richtet, besonders an Gustave
Fecht, die Pfarrerstochter aus dem ländlichen Oberland.
Dieser Wunsch zeigt sich schon, als Hebel kaum recht in
Karlsruhe ist. Schon im Februar 1792 schreibt er an
Gustave:

Hebel: Wenn ich mir auch den Himmel, oder was mir für
jetzt noch eben so lieb wäre, einen stillen, traulichen
Ruhesitz im Oberlande verdienen könnte, so wüßte ich...
Sprecher 1: Der Zweiunddreißigj ährige wünscht sich einen
stillen, traulichen Ruhesitz im Oberland! Uns Heutigen
mag das paradox erscheinen, Hebel war es gewiß
ernst damit. Einer Eule, die er sich in Karlsruhe hält,
verspricht er einmal im Brief, er würde sie ins Oberland
mitnehmen. Und er meint es mit solchen Reden und Erwartungen
gewiß ernst. Es hatte bislang nicht Erstrebenswerteres
für ihn gegeben als einen Pfarrsitz im
Oberland. So kann er der Eule wohl nachfühlen und
schreiben:

Hebel: ... und überhaupt vom Oberland erzählt, und
tröste sie, wenn sie mich in der Nacht mit ihrem Sehuhu
aus dem Schlaf erweckt und so kläglich ihre Freiheit
beseufzt, mit der Versprechung, daß wir, wenn sie noch
ein paar Jahre Geduld hat, miteinander ins Oberland
wandern werden, wo es ihr gar viel besser gefallen soll und
wo ich ihr vielleicht auch die Freiheit schenken werde,
und ihr gar heimliche und schauerlich schöne Felsklüfte,
alte Gemäure und hohle Eichen vielleicht gar in den
Waldungen meiner eigenen Pfarrei zeigen kann, in denen
sie alsdann ihre Ökonomie nach eigenem Gefallen selber
einrichten kann ...

Sprecher 1: Freilich mischten sich die Antriebe, die Hebel
von einer Oberlandpfarrei zu sprechen und zu träumen
heißen, in diesen frühen Karlsruher Jahren noch sehr.
Das Heimweh nach dem Oberland schlechthin, nach dem
Oberland mit seinen Menschen, seiner sanften Landesnatur
steht wohl im Vordergrund für Hebel, wenn auch
uneingestanden. In zweiter Linie wirkt mit das Verlangen
nach dem Erwerb und Besitz der Jungfer Gustave,
die dem Karlsruher Diakonus Hebel um diese Zeit gewiß
durchaus noch als Oberländer Pfarrersfrau vorgeschwebt
haben dürfte und die er nicht anders denn als Oberländer
Pfarrer hätte heimführen können und wollen. In dieser
Zeit noch nicht bewußt und klar, aber als Unterströmung
des Gefühls zweifellos vorhanden und später auch zutage
tretend wirkt das Verlangen nach ländlicher Seelsorge,
dieses Verlangen wird sich erst später deutlich aussprechen
. Jetzt sind die Eindrücke der Kindheit, der Mark-
gräfler Landschaft und der Begegnung mit Gustave noch
zu groß, als daß sie sich zunächst einer abstrakten Formulierung
des Wunsches nach einer Landpfarrerstelle
beugen würden. Nach acht Jahren harter Arbeit in Karlsruhe
jedoch zeigen sich einmal die vielfältigen und individuellen
Antriebe zu einem Kern verdichtet: Wiederum
an Gustave Fecht schreibt der mittlerweile zürn Professor
avancierte Hebel:

Hebel: Wohl sehne ich mich schon lange, und immer, und
oft sehr lebhaft nach einer Landpfarrei und natch dem.
stillen Wohlsein, das ich' dort träume. Aber es gehört
auch zu dem, was man sich vornimmt, und die Schwierigkeiten
mehren sich, statt sich zu mindern ..,

Sprecher 2: Der im weiteren erfolgende Hinweis auf die
relative Sicherheit, die die Stadt Karlsruhe ihm während
der Kriegszeit biete, ist symptomatisch für die psychische
Entwicklung Hebels in dieser Frage: Hebel hat begonnen
, sich in Karlsruhe, also in der Großstadt, wie auch
in seiner Tätigkeit als Professor wohlzufühlen. Oder
wenigstens sich darin seelisch einzurichten. Vergessen
hat er darüber den Wunsch nach der ländlichen Seelsorge
nicht. Im Gegenteil: Die Landseelsorge nimmt als
Wunschtraum und Ideal um diese Zeit eine von allen persönlichen
und zufälligen Momenten befreite und fest
umrissene Gestalt im Denken Hebels an. So schreibt Hebel
in einem sehr langen, grundsätzlich gehaltenen Brief
vom Juli 1800 an den Kirchenrat Wolf nach Heidelberg:

Hebel: O Freund, daß mir noch zwei Wünsche gelängen!
Der eine wird mir, so Gott will, gelingen: noch Pfarrer
bei einer Landgemeinde zu werden, — und der andere,
wenn es mir dann gelänge, irgend einen Teil des praktisch
-religiösen Glaubens, z. B. von der Allgegenwart
Gottes, oder ein religiöses Gefühl, z. B. dankbare Liebe
lebendig und dauernd in ihren Seelen anzufachen — lächeln
Sie freundlich zu meinem Traum! —, ich wollte es
dann ruhig jedem fast allein überlassen, wie er vor Gott
wandeln und seine dankbare Liebe in guten Gesinnungen
und Taten wollte wirksam werden lassen...

Sprecher 1: Hier stellt sich also ein seelsorgerisches Moment
als Antrieb vor. Als Antrieb, dessen Richtungen
Hebel jedoch lediglich in einer Landpfarrei würdig und
recht entsprechen zu können glaubte. Hebel, ein Land-
kind, glaubt sich nur der Seelsorge auf dem Lande gewachsen
. Dieses Bedenken ehrt ihn wie selten eines der
vielen Bedenken, die er hatte und äußerte. Im Dezember
des gleichen Jahres 1800 jedoch tritt ein sehr persönliche^
Antrieb hervor: Hebel möchte immer einmal in Hausen,
seiner Heimatgemeinde, eine Predigt halten. Das heißt,
er möchte sich seiner Heimatgemeinde sozusagen als arriviert
vorstellen, grob gesprochen. Die Predigt in Hausen
war ihm früher von einem verständnislosen Pfarrer verweigert
worden. Nun steht dieser Wunsch wieder auf,
und gleichzeitig mit ihm der andere Wunsch, durch Erhalt
und Besitz einer Landpfarrei im Oberland der Heimatgemeinde
Hausen und allen Oberländer Bekannten
zu beweisen, wie ungerecht jene Verweigerung der Predigt
in Hausen gewesen sei. Dergleichen steht hinter
Hebels Worten in einem Brief an Herbster vom Dezember
1800:

Hebel: ... und wenn ich einmal ungewarnt und unversehens
über den Maiberg herüber oder übers Sätteli
herabkomme, so wird mich Engler lieber einmal auf seiner
Kanzel predigen lassen, woran ich doch auch noch
ein halbes Recht habe, als jener lange Bohnenstecken
und Blitzableiter. Wenn ich wieder einmal ins Oberland
komme, so komme ich gewiß von Müllheim oder Kandern
her recta über die Berge, denn das hab ich nun schon gemerkt
, daß ich den Weg über Lörrach nach Hausen nimmer
gwinne...

Sprecher 1: Verbindet sich hier der Wunsch nach Rehabilitation
seines Rufes durch Predigen in der Hausener
Heimatkirche mit dem Wunsch nach ländlicher Seelsorge
wie mit dem Wunsch nach seelsorgerlichem Wirken in
der Heimat überhaupt, so konkretisiert sich dieses ab-

3


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1967-11/0005