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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1967-12/0007
schließenden ländlichen Natur. Hebel beginnt diese Antrittspredigt
in herkömmlicher Weise so:

Hebel: Im' Namen Jesu Christi stehe ich zum ersten Mal
an dieser geheiligten Stätte, von welcher schon so manche
Worte des Friedens, der Ermahnung, des Trostes an die
Gemüter dieser achtbaren Gemeinde ergangen sind. In
deinem Namen stehe ich hier, du Anfänger und Vollender
unseres Glaubens. Weihe du mich ein zum würdigen Beruf
deines Evangeliums ...

Sprecher 1: Nach einigen theologischen Absätzen, die auf
seine Haltung als Seelsorger zielen, kommt er auf sich
selbst zu sprechen, um sich sozusagen vorzustellen:

Hebel: Ich predige nicht mich, aber ich möchte euch gerne
sagen, wer ich bin, auf welchen Wegen mich Gott zu euch
führt. Ich wünsche euer Vertrauen zu gewinnen, damit
ich den Weg zu euren Herzen finde. Ich bin von armen,
aber frommen Eltern geboren, habe die Hälfte der Zeit
in meiner Kindheit bald in einem einsamen Dorf, bald in
den vornehmen Häusern einer berühmten Stadt zugebracht
. Da habe ich frühe gelernt arm sein und reich sein.
Wiewohl, ich bin nie reich gewesen, ich habe gelernt nichts
haben und alles haben, mit den Fröhlichen froh sein und
mit den Weinenden traurig. Diese Vorbedeutung von dem
Schicksal meiner künftigen Tage hat mir mein Gott in
meiner Kindheit gegeben. Schauet zurück in eure vergangenen
Tage: ist's nicht also, daß Gott manchem schon in
seiner Kindheit ein Wahrzeichen seines Lebens gibt? Ist
nicht die Kindheit der verborgene Keim, aus welchem
nach und nach der reiche Baum des Lebens mit all seinen
Leiden und Freuden sich auseinanderschlägt? ...

Sprecher 1: In Predigerworten spricht Hebel hier tiefe
psychologische Erkenntnisse aus. Freilich vergißt er über
der — im wissenschaftlichen Jargon gesprochen — Milieuschilderung
seiner Kindheit die ihm von den Eltern
mitgegebenen Anlagen: Das weltoffen Fränkische des
Vaters und das fromme Sichbescheiden, das alemannisch
Stille der Mutter. Dann kommt Hebel auf seine Lebensschicksale
zu sprechen, die er erkannt und darstellt als
Faktoren, die an ihm mitgeformt haben:

Hebel: Ich habe schon in dem zweiten Jahr meines Lebens
meinen Vater, in dem dreizehnten meine Mutter verloren
. Aber der Segen ihrer Frömmigkeit hat mich nie
verlassen. Sie hat mich beten gelehrt, sie hat mich gelehrt
an Gott glauben, an seine Allgegenwart denken.
Die Liebe vieler Menschen, die an ihrem Grabe weinten
und in der Ferne sie ehrten, ist mein bestes Erbteil geworden
, und ich bin wohl dabei gefahren ...

Sprecher 1: Der Prediger benutzt diesen Teil des Berichtes
sogleich zur Mahnung an die Eltern, ihre Kinder
fromm zu erziehen. Denkt man heute über Hebels Worte
in dieser Sache nach, und liest man manche Bekenntnisse
seiner Briefe* über sein Verhältnis zu seiner Mutter, so
kommt man von dem Verdacht nicht los, das frühe Vaterlossein
habe zu einer sich wohl zunächst gut, für das weitere
Leben aber ungünstig auswirkenden Mutterbindung
geführt, die durch den gleichfalls frühen Tod der Mutter
verstärkt und verfestigt wurde. Gleichviel. Hebel wendet
den rückschauenden Blick in seiner Antrittspredigt nun
seinen Lehrern zu:

Hebel: Gott hat mir an Eltern Statt wohltätige Berater
meiner Jugend und treue Lehrer der weltlichen Weisheit
und des geistlichen Berufes gegeben. Sie schlafen im Frieden
, aber ich erfülle eine Pflicht der Dankbarkeit, indem
ich Ihrer gedenke. Ich erhielt die Weihe des geistlichen
Berufs. An einem friedlichen Landorte, unter redlichen
Menschen als Pfarrer zu leben und zu sterben, war alles,

was ich wünschte, was ich bis auf diese Stunde in den heitersten
und in den trübsten Augenblicken meines Lebens
immer gewünscht habe. Aber, o Gott, auf welchem langen
Umweg hast du mich an das Ziel meiner Wünsche
geführt! Elf Jahre lang, bis in das Einunddreißigste meines
Lebens, wartete ich vergeblich auf Amt und Versorgung
. Alle meine Jugendgenossen waren versorgt, nur
ich nicht... Da war es wohl an mir getan, daß mich Gott
gelehrt hatte arm sein und nichts haben.

Sprecher 1: Hier ist klar und grundsätzlich ausgesprochen,
daß Hebels Wunsch auf ein Pfarramt ging, auf ein Landpfarramt
. Ebenso deutlich zeigt sich aber auch wieder
das seelische Trauma, das Hebel durch die Zurücksetzung
während der ersten elf Berufsjahre erlitten hat; die
Wirkungen dieses Traumas ließen sich leicht an verschiedensten
Punkten von Hebels Lebensbahn aufzeigen: Es
spielte mit in dem Verhältnis zwischen Gustave Fecht
und Hebel, es schafft mit am Zustandekommen der Unzufriedenheit
Hebels in seinen Karlsruher Ämtern, und anderswo
. Er läßt sich grundsätzlich — auch wenn er sich
dessen vielleicht nicht bewußt ist — über jene Zurücksetzung
nicht mehr trösten. Er versucht dennoch sich zu trösten
, indem er das in Karlsruhe Erreichte dem unerreichten
Wunschbild gegenüber hält, — wie jetzt in der fiktiven
Antrittspredigt vor einer Landgemeinde:

Hebel: Doch ich wurde unversehens in die Residenz berufen
, aber zu keinem Pfarramt. Ich bin von Stufe gestiegen
zu Stufe, aber nie zu einem Pfarramt. Ich habe vielleicht
zweitausend Jünglinge/ in Sprachen und Wissenschaften
unterrichtet. Viele von ihnen erfreuen mein Antlitz
, wenn ich sie nun als fromme, als glückliche, als geachtete
Männer und Freunde wiedersehe. Manche von
ihnen stehen schon lange in geistlichen Ämtern, und manches
fromme Wort, das ich hie und da in ein gutes Herz
gelegt ,habe, es trägt vielleicht jetzt reichliche Früchte,
ohne daß ieh's weiß ... Ich habe die Liebe und Achtung
vieler guter Menschen, ich habe das Vertrauen und die
Gnade unserer Fürsten genossen. Ich bin Mitglied der
obersten Kirchenbehörde geworden. Ich bin zuletzt mit
einer in unserer vaterländischen Kirche noch nie erhörten
Würde geehrt worden und mit Fürsten im Rat gesessen ...

Sprecher 1: Es ist ein stolzer Rückblick, den Hebel hier in
aller Bescheidenheit vorführt und der in der Erwähnung
der Prälatur und der Mitgliedschaft in der ersten Kammer
des badischen Landtags gipfelt. Hebel hätte mit dieser
Laufbahn zufrieden sein dürfen, und mancher aus sozial
höheren Schichten Stammende sogar hätte damit zufrieden
sein können. Anders Hebel. Er hatte sich die
Landpfarrei in den Kopf gesetzt, man hatte sie ihm' in
seinen besten Mannes jähren verwehrt, — nun kommt er
immer wieder auf dieses Berufsziel zurück und stellt es als
das einzig erstrebenswerte und erstrebte hin. Hartnäckigkeit
? Echte oder falsche Bescheidenheit? Ehrliches Wünschen
? Vielleicht spielt von jedem etwas in Hebels Haltung
mit. Vielleicht sogar das Gefühl, in einer Landpfarrei
besser am Platze gewesen zu sein? Wie dem auch sei,
Hebel nimmt nun, als er sein Leben sich neigen fühlt,
den lebenslangen Wunsch als erfüllt an und fährt vor seiner
ersehnten Landgemeinde fort:

Hebel: So bin ich an einer unsichtbaren Hand immer
höher hinan, immer weiter von dem Ziel meiner bescheidenen
Wünsche hinweggeführt worden; und als ich
am weitesten glaubte entfernt zu sein, war ich am nächsten
. Was ich im zwanzigsten Jahre meines Lebens bald
zu erlangen hoffte, gab mir Gott im sechzigsten...
Sprecher 1: Hebel mußte sich mit der Vorstellung begnü-

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