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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1967-12/0018
als Herrin des Schulhauses auf. Auf das empörende
Schalten und Treiben derselben berichtet
Staggios nach St. Blasien folgendermaßen:2*

Nachdem ich den Dienst kaum ein Jahr lang gehabt,
und der Schul ohne grosse Verdriesslichkeit brav hab
können abwarten, hat sich die sogenannte Jägermarei
samt ihrem Mann und Magd darein gemacht, welche auch
mitgebracht: 2 Kühe, 4 Schafe, 5 Hennen, welche mir
Winterszeit in der Schulstube ein grosses Geschrei machen
, bei 125 Kindern, dass ich manches mal nicht weiss,
wo mir der Kopf steht. Dies schadet sowohl mir als der
ganzen Gemeinde.

Und nun kommen die einzelnen Beschwerden, wie folgt:
Erstlich: Wann ich Winterszeit Schul halte, so mach ich
ihr die Schul zu lang, so dass ich öfters vor der Zeit aufhören
muss, wann ich von ihr hinterwärts keine Schmäh -
und Scheltworte hören will.

2tens: Citiert sie öftermalen ihre geschwätzige, durch ihr
böses Maul im ganzen Dorf bekannte Tochter zu sich in
die Stuben, und wenn selbige kommt, so schwätzt sie mit
den Kindern und verhindert selbe im lernen.
3to: Wann sie zur Winterszeit dreschen, sitzen sie um den
Ofen und nehmen die Kinder aus, welche im Aufsagen
von mir corrigiert werden und lachen sie aus.
4to: Wann Schreibtag ist, wo ich an einem Tisch (die doch
von der Gemeind angeschafft sind) nicht Platz hab, den
Kindern die Hand zu ziehen, so dürfen doch nicht
2 (Tische) in die Stuben, damit die Jägermarei Platz hat,
beim Ofen mit ihrem Spinnrad zu sitzen.
5tens: Wann ich den Kindern das Essen in der Schul, wie
auch zu Zeiten das Trinken verbiete, so giebt sie ihnen
Anlass dazu, um zu zeigen, dass sie der Meister sei.
6tens: Beansprucht sie den Nutzen von der Gemeind, sowohl
das Schulholz, wie das Stroh, das doch eigentlich
für mich bestimmt ist.

7tens: Verlangt sie von meinem kleinen Garten den halben
Teil sowohl anzublümen, als auch zu grasen. Weil
ich diese aber nicht gestattet, so hat sie ihre Magd auf die
Schulwiese geschickt und dort grasen lassen. Überhaupt
ist vor diesen Leuten nichts sicher.

Stens: Ziehet sie, wie auch die Magd junge Leute zu sich,
sowohl ins Haus, als auch bei gutem Wetter vor das Haus,
welche unanständige Sotten und Bossen treiben, welche
derart sind, dass man sie nicht nennen mag. Wann ich
dann die Jungen derowegen zurechtweise, so lacht die
Jägermarei dazu und stiftet sie heimlich auf, sie sollen
fortmachen, damit es mich verdriesse.

Die übrigen Aktionen, die sie öfters vor den Kindern
hinter mir macht, mag ich nicht beschreiben. Aus alldem
ist zu ersehen, wer die Zeit her in dem Schulhaus Meister
gewesen ist. All dies kann der Pfarrer bestätigen.

Zu verwundern ist nur, daß Vogt und Pfarrer
diese ungeheuerlichen Mißstände überhaupt so
lange geduldet haben, es so weit kommen ließen
und nicht eher eingeschritten sind, so daß der
Lehrer sich an die Regierung wenden mußte.

Als Staggios Bericht über die Vorgänge in
St. Blasien einlief, war der Abt aufs Äußerste
entrüstet. Es wurde eine strenge Untersuchung
eingeleitet, welche in allen Punkten die Angaben
des Lehrers bestätigten, worauf die Ausweisung
der Jägermarei aus dem Schulhaus verfügt
wurde.

Als nun der Nachtwächter wegen des Wegzuges
um eine Fristverlängerung von 4 Monaten
nachsuchte, erging die Weisung, die schleunige
Entfernung durchzuführen ohne Anstand und
Einrede und über den Vollzug zu berichten.

!) Ewattingen liegt bei Bonndorf am Ostrand des Schwarzwaldes
. Bis zur großen Säkularisation gehörte das Dorf
zum Kloster St. Blasien.

2) Siehe Ewattingen: Schuldienst 1630 — 1771. Convolut
57/6 (Bad. Landesmuseum).

Entnommen der „Geschichte des Volksschulwesens in
Baden" von Heinrich Heyd. Bühl (Baden) 1898, Seite
1328 — 1330.

25urf)befpcect)ung

Hinterm Pf lueg

Ernst Niefenthaler, geb. 1894, lebt in Bürchau im Wiesental
als Bauer auf dem Hofe seiner Ahnen. Er führt ein
arbeitsreiches Leben1 tagaus, tagein, das aber tief mit
Erde, Pflanzen, Tieren, Menschen, Kosmos und seinen
vielen Fragen in Freiheit zusammenführt. Diese reiche
Welt bedichtet Niefenthaler in der alemannischen Mundart
; es ist die Sprache, die sein engster Landsmann, Hebel,
in die deutsche Literatur einführte, und die ein Säkulum
später ein anderer Wiesentäler, Burte, mit seinem gewichtigen
Band „Madlee" zu einer neuen klassischen
Höhe hinauf führte. In den Spuren dieser großen Landsleute
wandelt unser Dichter; im Idiom und Medium der
reichen und klangvollen alemannischen Mundart verpflichtet
nicht als Nachahmer, sondern als Eigener und
in seiner Art Vollkommener.

Seine äußeren Lebensumstände haben ihm das Dichten
schwer gemacht: Er muß viel körperlich arbeiten und
konnte in der Jugend keine höhere Schule besuchen. So
wurde er ein! Autodidakt. Von seinen zwei großen Vorgängern
lernte er Sprache, Form, Stil, Inhalt, übernahm
er den Dienst am heimischen Wort, am Menschen, an der
Erde. Dabei erweist er sich ihrer wahrhaft würdig.

Doch erst in der Härte des Lebens bewährt sich der berufene
Dichter. Dichter sein heißt Dienen, Ringen, Gestalten
, sich Erlösen, heißt, sich in jeder Not dem Auftrag
stellen und unterwerfen. Niefenthaler fand bei jeder Arbeit
in Haus und Feld stets ein paar Minuten Zeit, um zu
schreiben, zu gestalten. In einer ruhigen Stunde vollendete
er dann die Entwürfe. So fing er Mensch und Land in
stetem Ringen in seine Texte ein. Nichts stand ihm zu
hoch, war ihm zu schwer. Er erntete reife lyrische Früchte.

Ideologisch stellt er dar, was man in dem Lied „Üb immer
Treu und Redlichkeit", bzw. was die Lehre des

Christentums bekennt. In dieser Grundkonzeption entstand
vor etwa einem Jahrzehnt sein erster Gedichtband
„Der Weg berguf." ,Er fiel damals auf durch Echtheit,
Klarheit, Wahrheit, durch gefeilte Form und Wohlklang
der Sprache. Diesen Ideologien fühlt er sich auch heute
noch im großen und ganzen verpflichtet. Besonders gelungen
sind u. a. in dieser Art die Gedichte „Der Wächter-
rul in der Ehe", eine Variation zu Hebels berühmten Gedicht
„Der Wächterruf" und „Der zufriedene Wälderbur",
zwei Kunstwerke.

Indessen ist ein Neues, vielleicht altersbedingte hinzugekommen
: der Zweifel, die Kritik, die Mahnung. Er
dichtet jetzt: „In so vile fromme Röckli / steckt e rüdig
Sündeböckli" oder „I bi so menggmol am Verzwifle fast, /
und suech no Wärmi, s friert mi in der Seel", oder „Seil
Sternli ob em Stall / goht im Gschäftermache unter, /
Wiehnächt würd zuem Maskeball", oder „Wettlauf isch
das Wirtschaftswunder, / Sport wird Narretei mitunter."

In der Lyrik ist indessen die Form alles, und von hier
gesehen, nach Stil, Rhythmus, Reim, Sprachmelodie, Diktion
des Ausdrucks, sind die neuen Gedichte fast vollkommen
, von kleinen Pressungen der Mundart zur Hochsprache
hin abgesehen. Wir finden reine, überzeugende
Formulierungen, die ihn1 in die Nähe von Hebel rücken,
ja ihn in einigen Spitzen fast gleichkommen, z.B.: (Beim
Betrachten des Weltenschiffes) „Durenander allerorte, /
Ufruehr, Haß, s isch nümme schön / isch amend gar gmeut-
ret worde, / füehrt en falsche Kchapitän?" oder „So
menggem Ma, wo Orde trait, / isch s nit so wohl wie mir; /
und wo der Richtum Teppich leit, / findt au de Chummer
d Tür." Das ist wertvolle alemannische Dichtung.

(Das Buch erschien im M. Schauenburg-Verlag, Lahr,
umfaßt 82 Seiten, ist gut ausgestattet, kostet 6.80 DM und
hat ein ganzseitiges Bild des Verfassers.)

Richard Gang

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