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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1968-01/0009
Das ligtHo bees iber alle Acker,
Das chücht eim a, alli challerfaischter üs.
Das ligt ehalt iber alle Lilie n in de Gärte.
Das isch färchterlig do in alle n äisre Nacht.

Gespenstisches, das die Menschen an der Ras-
sengrenze mit ihren zweitausend Jahren Elend
niederdrückt, stellt er greifbar vor uns:

Er isch gschtorbe. —

Un doch: er isch als binis z'nacht. —

Wenn mr Charte spiele

Sitzt er bleich zwische n is

hinger em Tisch

Üf der Bank

Un lüegt so demietig. —

Alli Luschberkeit hert üf.

Mr singt nimmi.

Dr Wing jagt duss im Schopf e Holzbigi um.

D'Ching sitze vergälschtert uf der Chunscht,

Ass wie wenn mr Gschpängschtergschichte verzällt.

Was fir e Gift isch in dr Nacht!

Sehnt dr si jetz in dr Witti

Iber dr Wall rite,

Alli wu nonit gebore sin,

Alli, wu si n emol s* Mässer in dr hohl Lib stosse,
die jungi Mensche, wu n emol in Massegräber verfüle

tien?!

D'Wagle fange n a z'rossle n in de Chammere.
D'Ching fange n a z'grine n un wärde n unriehjig.
Wie ne besi Ahnig isch's in alle n äisere Nacht.

Zwischen den beiden Weltkriegen ist sein
Dichten Klage über das Elend des vergangenen
und erschreckende Schau des kommenden Völkermordens
. Wie eine über sein Elsaß ausgespannte
Äolsharfe tönt der Andrang von gestern, heute,
morgen und aus langvergangenen Zeiten in seinen
Liedern.

D( Kosake vo Altchüch

So lüeg denn jetz: dr Bode lipft si jo!
Üs de vergässene Gräber stehn sie üf
An de Wäg a
Z'hunderttäusigwis!...
Dur's Weisefäll chämme si,
Blüetig, in Helm un Tschäko,
in Käpi

Mit Panzerchleider a
Un aremi Grafechnächte,
Aremsälig,
Eländ. —

Ihri Gsichter sin bleich.

Ihri Chleider sin verfült an ene un hänke n in Fätze.

Ihr Blick isch demietig un trürig.

Dr ganz Bode zitteret, so vil sin's...

„Wurum hai mr denn so jung stärbe miesse?

Gott, wurum?

Brieder, wurum?

Was hai mr üs denn do gha? —

O, was mr glitte hai im Abscheide! —

Doch das Beschwören alles dessen, das wir
sonst geflissentlich aus unserem Bewußtsein ausklammern
, ist bei Nathan Katz nicht Selbstzweck.
Es bildet vielmehr den dunklen Hintergrund für
sein brennendes Carpe Diem, seinen Ruf nach
Liebe, Frieden und Verständigung. Ohne den
krassen Totentanz auf den nächtlichen Sundgau-
Fluren fänden seine lieblichen Bilder blühender
Gärten, der Wiegenlieder, der schlichten Verse
„an e Maidle", niemals diese unüberhörbare Eindringlichkeit
.

So het mi Harz d'ganzi Nacht üfgrine, wil de nit e
Rung mit mr gange bisch —

Un 's wär mr doch so wohl gsi, numme fir chänne
z'seh wie d'Sunne in dim Hoor zwitzeret hätt, wie's
Fäll so wit un grien vor dr gläge wär, wie d'Wäll so
still gsi wäre n umi di umme, Maidle.

50 aber hani spot in dr Nacht no gschtümt, un dankt
an e Zit, wu mr nimmi labe, — wu d'Wirem in is
nage. —

D* Wirem! D'unge n in dr Fichtigkeit un dr Fäischteri!
Un dü bisch nit emol e Rung mit mr gange hit. —

Üf äiserem Faischterbrätt
Sin Schässle Nägele gsetzt.

51 wachse n a.

Si tribe Wirzele scho —
Mi Harz vernimmt's.

As steht e Birebäum
Enaime duss im Fäll,
Er räblet üs.

Mi Härz, äs gschpirt si Schmärz
Im letschte Champf.

Die Seel, wu alls drin wird,
Wu alles dri vergeht:
Gott läbt jo o in mir.
I zittre numme mit
Si läbig Tüe.

Aus diesen Versen blickt uns groß und geduldig
das unbewußte Leiden der stummen Geschöpfe
an. Der Schmerz des absterbenden Birnbaumes
weckt ein Echo in der Seele des Dichters,
er schreibt die Zeilen nieder und erlöst damit
„e Birebäum enaime duss im Fall." Bevor er des
Todes gewahr wird, nimmt er die winzigen Wurzeltriebe
der Nelkenpflänzchen auf seinem Fensterbrett
liebreich ans Herz. Die letzte Strophe
ist sein pantheistisches Glaubensbekenntnis. Er
versteht sich als winziger Teil der Weltseele Gott.
Das Wirken des Dichters ist nur ein „Mitzittern"
in Gottes lebendigem Tun.

Un wenn mr emol tot sin,
villicht ass mr no witerläbe tien
So in allem wu scheen isch.

Villicht ass mr do sin

Im Läbe, wu im junge Chorn tribt,

In däne Millione n un Millione

Vo chleine Pflänzle,

Wu stupfle n im wite Fäll.

Villicht ass mr lebändig sin

in dr Chraft vom Wing, wu dur's Holz geht,

Ass si d' Eichbaim biege,

Un im gsunge Bliehje vo de Maie n im e Büregarte.

Villicht ass mr no witerläbe tien

In allem wu scheen isch, in allem wu lebändig isch.

Wer sich des Wechselspiels von Kultur und,
Geschichte bewußt ist, mag den Doppelsinn verspüren
, der in den letzten Verszeilen lebt. Nicht
nur die Sterblichkeit der Menschen wird hier in
sanfter Hoffnung in Frage gestellt. Auch einer
sterbenden Sprache, seinem Sundgau-Elsässer-
ditsch schreibt der Dichter ein leises:

Villicht ass mr no witerläbe tien
In allem wu scheen isch
In allem wu lebändig isch.

Nathan Katz „Sundgau-Gedichte — O loos da Rüef dur
d' Gärte", Editions Alsatia, Colmar, Preis 14NFrs.


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