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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1968-03/0007
A. Lauth, Karlsruhe:

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1929 erschien in Straßburg der Roman „Desire
Dannacker." Es war das Buch der elsässischen
Grenzlandtragik, die seit dem Ende des großen
Kriegs ein neues Stadium erlebte. Der Held des
Dramas kommt, wie viele Tausend junger Elsäs-
ser, im feldgrauen Rock von der Front zurück
und sieht sich in der Heimat mit einer neuen,
unerbittlich fordernden, politischen Situation
konfrontiert. Was bisher Gewohnheit war, was
als erstrebenswert und groß gegolten hat, soll
weggeworfen werden. Selbst die Sprache der
Menschen dieses Grenzlands wird von einem unduldsamen
Nationalismus als Makel hingestellt.
Böse steht das Wort von der geopferten Generation
über dem Land. Der als Offizier von der Ostfront
heimgekehrte Desire Dannacker entschließt
sich zur Flucht ins Studium. Philologie will er
studieren. Aber es läßt ihn nicht gleichgültig,
was im Lande geschieht, er wird in den Strudel
erbitterter politischer Kämpfe hineingezogen. In
einer tosenden Protestversammlung ergreift auch
er als Diskussionsredner das Wort. Er fordert
zum Mißtrauen gegenüber tönenden Schlagworten
auf. Die Elsässer wollen vor allem an einem
kostbaren, vielhundertjährigen geistigen Erbgut
festhalten. Da schleudert ihm ein junger Mann
von der gegnerischen Seite das Wort „Boche" ins
Gesicht. Boche, das schlimmste Schimpfwort, das
es in dieser Zeit gibt. Ein Abgrund ist aufgerissen
. Und Desire sieht plötzlich in dem Gegenredner
mit dem stechenden Blick seinen Bruder Paul,
der auf die andere Seite gegangen und als französischer
Soldat in den Vogesen gefallen ist. Anklagend
sieht er Paul auf sich zukommen, hört
auch von ihm das verdammende Wort „Boche",
und dieses Bild läßt ihn nun nicht mehr los, verfolgt
ihn und entfremdet ihn völlig der Umwelt.
Das Ende ist sein freiwilliges Ausscheiden aus
einer Gesellschaft, die er nicht mehr versteht.
Tot wird er auf einem französischen Soldatenfriedhof
in den Vogesen gefunden.

Die tragische Lösung des Konflikts mag heute
kraß erscheinen. Ein zweiter großer Krieg hat
von den Menschen noch mehr abverlangt, als damals
zwischen Rhein und Vogesen die Regel war.
Aber „Desire Dannacker" war die Stimme einer
geopferten Generation. Es war eine Anklage, die
gehört wurde. Publizistisch war der „Dannacker"
eine Sensation, die weit über den elsässischen
Rahmen hinaus wirkte. Und es war ein guter Roman
. Rene Schickele sagte: Das Beste, was seit
1918 im Elsaß erschien.

Der Verfasser Morand Claden war bisher
nicht hervongetreten. Man erfuhr, daß hinter dem
Pseudonym der 1895 geborene Sohn eines Schul-
clirektors aus dem Sundgau stand, Franz Albert
Schmitt, seit einiger Zeit Stadtbibliothekar von
Colmar.

Ende Oktober des vergangenen Jahres ist
Franz Albert Schmitt in Berghausen bei Karlsruhe
, wo er seit einigen Jahren mit seiner Frau,
der bekannten Malierin Anne Luc, lebte, 72jährig
an einem Herzschlag verschieden. Der Tod ereilte
ihn kurz vor dem Termin der Dichterlesung, mit

der er nach längerer Pause wieder vor die Öffentlichkeit
treten wollte; Gegenstand der Lesung
sollte ein neuer Gedichtband „Das Licht der
Welt" sein. Schmitt-Claden war kein Vielschreiber
. Von hoher Kunstauffassung, dabei selbstkritisch
bis zum Äußersten, zögerte er lange, bis
er etwas von seinen Arbeiten der Druckerpresse
übergab. Außer dem „Dannacker" gibt es von
ihm ein Bändchen Erzählungen, die im Inselverlag
erschienen sind, eine Anzahl Gedichte, die er
in Zeitschriften und Zeitungen veröffentlichte
und seine prachtvollen „Oden an das Straßbur-

3äumc im ©djnee

Gewiß, Eis und Schnee zum Trotz,
vermagst du den Sommer zu sehen
und zu erhoffen
das Grün der Blätter.

Aber eines Tages,
da du das erste weiße Haar
entdeckst an deiner Schläfe,
blitzt Schnee dir auf
mitten im Sommer.

Schnee, der nicht mehr vergeht,

keinem Sommer mehr weicht,

nein, der sich vermehrt und unaufhaltsam wie

Blätterwelken

fällt über dein Haupt.

Über deinem Grabe aber
grünen noch viele Jahre lang
die Bäume auf.

Morand Claden

ger Münster", die ein zweiter Höhepunkt des
dfeutschen Schrifttums im Elsaß waren. Schmitt-
Claden hat sich auch Verdienste als Goetheforscher
erworben, wobei es ihm vor allem um
Goethes Aufenthalt im Elsaß ging. Während des
Krieges erhielt er den Auftrag zur Einrichtung
eines Straßburger Goethehauses, zu dessen Direktor
er gleichzeitig ernannt wurde. Das weitere
Kriegsgeschehen verhinderte jedoch die Vollendung
des Auftrags.

In seinem meuesten, nach seinem Tode erschienenen
Gedichtband offenbart sich Schmitt-
Claden als ein Lyriker von reiner, tiefer Empfindung
: Ein halbes Hundert Gedichte sind es,
e:n ^utes Drittel der elsässischen Heimat gewidmet
, andere sind liebevoller Betrachtung der Jahreszeiten
und der Vielfalt des Lebens entsprungen
, es sind aber auch Verse dabei wie „Atompilz
", in denen der Dichter sich mit den Versuchungen
der Götter durch die moderne Wissenschaft
auseinandersetzt. Mit Schmitt-Claden verliert
das deutsche Schrifttum im Elsaß, das heute
leider in seimen Fundamenten bedroht ist, einen
seiner letzten und zugleich einen wortgewaltigen
Künder, einen Dichter, der, wie Rene Schickele,
die Landschaft des Oberrheins als eine gfeistige
Einheit empfand und deshalb auch in Baden sein£
Anerkennung finden sollte.

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