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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1968-05/0004
R. G. Haebler:

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Anmerkungen zu einem wenig bekannten Kapitel aus
dem Leben des badischen Prälaten und alemannischen
Dichters Johann Peter Hebel, geboren am 10. Mai 1760.

„In Baden trieb ich noch fünf Tage das große Spiel, nicht
nur an der Tafel, sondern auch an der Bank, an letzterer
so glücklich, daß ich fünf Tage nicht nur frei leben, sondern
auch groß thun konnte. Als ich den Domestiken
zum Beispiel das Trinkgeld gab, sagte ich: Ihr könnt nichts
dafür, daß ich nicht auch ein Graf bin, Ihr sollt nicht darunter
leiden. Ich bin gerecht. Nichts angenehmer als der
Contrast. Die Abende brachte ich im Bierhause unter den
Kutschern und Lakayen der Grafen und Barone zu, mit
welchen ich zu Mittag speiste ..."

Das ist ein Stücklein aus dem Brief, den der Karlsruher
Pfarrer und Professor am Gymnasium illustre, ein Kalenderschreiber
und ein Dichter von großen Gaben und
Gnaden, der spätere Prälat und Mitglied der I. Kammer
der badischen Landstände Johann Peter Hebel im August
1810 an seinen Amtsbruder Gottlieb Bernhard Fecht,
dem späteren Landtagsabgeordneten, schrieb. Man braucht
eigentlich nicht viel dazu zu sagen: was hier in diesen
paar Sätzen steht, spricht ebenso für den heiterwitzigen
und doch nachdenklichen Briefschreiber wie für das gesellschaftliche
Klima in Baden-Baden am Anfang des 19.
Jahrhunderts, in jenen Jahren, als der vom Rastatter
Kongreß aus seinem Dornröschenschlaf erweckte Kurort
anfing, ein Begriff zu werden in der Welt, in der man sich
nicht langweilt. Auch das hat Johann Peter Hebel in einem
seiner Briefe um die gleiche Zeit geschildert, gezeichnet
„aus der Stadt Baden, in Baden-Baden im Bad":

„Gestern Vormittag kam ich hier an. Mein alter Hauspatron
, Schneider Saxler" — übrigens ein Mann, der in
der Geschichte der Stadt eine interessante Rolle gespielt
hat — „ hatte mir ein Stüblein aufgehoben, wo ich Ihnen
jetzt schreibe. Es war ein großes Glück und eine große
Gefälligkeit. Denn es war gestern fast kein Platz mehr zu
haben, und viele Leute waren noch am Abend in Verlegenheit
, wo sie schlafen werden. Anfänglich schien es
nicht, daß es sehr lebhaft hier werden würde. Aber auf
einmal in voriger Woche strömte es von allen Seiten herbei
, und an den Sonntagen komnten natürlich viele bis
8 Stunden weit her, von denen die entfernteren über
Nacht bleiben. Es speisten gestern an der Tafel im Salmen
100, in der Sonne 150, in dem, badischen Hof 180, gewiß
ebensoviel im Hirsch, ohne die andern Wirtshäuser und
viele Domestiken und gemeine Leute. Das gedruckte Verzeichnis
der Badgäste und Fremden hat sich vom 14. auf
den 16. um 143, vom 16. auf den 18. um 105 vermehrt.
Man ist in einer ganz anderen Welt, überall Glanz, Wohlleben
, Müssiggang, Geldspiel, Könige, Fürsten, Grafen,
Professoren, Juden, Comödianten untereinander ... Am
Abend war ich am Ball, nur um das neue Conversations-
haus und die Einrichtung dort zu sehen. Das ist alles, will
nicht sagen fürstlich, aber pariserisch. In dem Tanzsaal
hätte das ganze Riedlinger Bad mit Haus und Hof Platz.
Der Saal hat 9 Lüsters ohne die Wandleuchter, die Spiegel
sind so groß wie ein mittelmäßiger Kleiderkasten, alle
Vorhänge von Seide, in zwei großen Zimmern wird gespielt
. Alle Erfrischungen werden von Parisern bereitet.
Deswegen versuchte ich fast alle. Alles ist sehr wohlfeil
neben der Güte und feinen Bedienung. Die Großherzogin
war auch da. Sie hat neben dem Saal ein eigenes Zimmer.

Ich habe aber noch nicht gespielt. Ich bleibe nur diese
Woche hier. Viele Leute, wenn sie fortgehen, bestellen
schon wieder Logis für das künftige Jahr ..."

Hier wird man eine kleine Anmerkung einschalten
müssen: das neue Conversationshaus, von dem Hebel
spricht, war nicht etwa das heutige Kurhaus, sondern das
heutige Rathaus, das einstige Jesuitenkolleg und die einstige
Jesuitenkirche, damals, um 1810, von Weinbrenner
zum Casino umgebaut.

Nun, diese beiden Briefstellen mögen zunächst einmal
zu dem Bild der gesellschaftlichen Landschaft aufblenden
, in die Hebel alljährlich aus der kleinen Residenz
seines Großherzogs herüberkam: der übrigens, seit wenigen
Jahren erst, seinen Sommeraufenthalt in das Schloß
seiner Urväter im Oostal verlegt hatte, zuvor hat er über
drei Jahrzehnte lang Baden-Baden und die widerspenstigen
Badener ungnädig gemieden.

Wenn man in den glücklicherweise erhalten gebliebenen
vielen Briefen Hebels alle jenen Stellen nachschaut, in denen
er von Baden-Baden — damals hieß die Stadt noch
Baden bei Rastatt — berichtet, so erhält man, bei aller nur
gelegentlichen Erwähnung, doch ein recht anschauliches
Bild; vielleicht haben sogar die beiden, soeben erwähnten
Briefstellen schon einiges von dem vermittelt, was den
alemannischen Poeten auch als Briefschreiber kennzeichnet
. Es ist gar nicht so sehr weit von dem entfernt, was
Goethe einst auf die einfache, schlichte Formel gebracht
hat, als er Johann Peter Hebels Alemannische Gedichte
besprach: „Er verbauert auf die naivste, anmuthigste
Weise das Universum." Und das scheint wiederum nicht
viel anderes zu meinen, als was Martin Heidegger, der
alemannische Philosoph unserer Zeit, jüngst über den
Dichter und Geschichtenschreiber, den Rheinischen Hausfreund
, nachdenkend und nachsinnend gesagt hat.

Aber kehren wir noch einen Augenblick zurück zu jener
Bemerkung in dem Brief, den wir einleitend erwähnt
haben, zu jener Bemerkung: er habe das große Spiel nicht
nur an der Bank, der Spielbank, sondern auch an der Tafel
getrieben, an der Hoteltafel, beim Essen, als man noch
in langen Reihen nebeneinander, einander gegenüber saß,
wie es sich gerade traf. Aber was meinte Hebel mit diesem
Spiel an der Tafel der Kurgäste? Vielleicht — mehr:
sicherlich hat der Erzähler so vieler hintergründiger Kalendergeschichten
und der Erfinder des Zundelfrieder, des
Zundelheiner und des roten Dieter und so mancher heiterer
und besinnlicher Schelmenstreiche eben das gemeint
, was er einmal in einem anderen Brief aus Baden-
Baden erzählt hat:

„Ich war mitten im Kreis und Brennpunkt der Freude
viel melancholisch, doch vorübergehend in schnellen
Wechseln, wie die Schatten der Wolken, wenn sie im
Frühjahr über den Hünerberg fliegen. Doch habe ich auch
manchen kleinen Spaß getrieben und erlitten. Hab ich
nicht an der Tafel mich mit den Grafen gleichgeachtet,
und mit dem König von Bayern auf der Promenade in die
nämliche Lotterie gesetzt, und den Abend im Lamm bei
den Handwerksburschen zugebracht? Hab ich mir nicht
hinwiederum vorgestellt, ein krankes Mädchen an der
Tafel, das nicht aß, nicht trank, nicht redete, nur teil-
nehmungslos herumschaute, sei der Tod, der mit uns zu
Mittag esse, und habe viel Phantasien aus ihr heraus und

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