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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1968-05/0005
an sie hingesponnen, ob ich gleich neben einer brillanten
Ehrendame, — das heißt: Badhure — saß. Das war aber
im Hirsch. Denn in dem Salmen logieren keine Ehrendamen
, sondern kommen höchstens abends, wenn gespielt
wird. Hab ich endlich nicht, unter uns gesagt, und nur
unter uns gestanden in 8 Tagen 60 Gulden durchgebracht?"

Oder, um ein anderes Erlebnis an der Baden-Badener
table d'hote zu erwähnen — aber dazu bedarf es einer
kleinen Vorbemerkung. Hebel hatte in jenem Brief über
den Heidelberger Professor Johann Ludwig Ewald gesprochen
, der hatte einst zum näheren Kreis des jungen Goethe
gehört, man kann's in „Dichtung und Wahrheit"
nachlesen, und hat ihn charakterisiert als... und nun
zitieren wir Hebel:

„einen eleganten und unterhallenden Mann, ein Mann
von sehr bearbeiteter Außenseite, ein Mann, von dem
man in den ersten paar Minuten sagen kann, er verbirgt
seine innere Gestalt und Farbe. Auf mich tat er wenigstens
nicht die Wirkunng, wie andere Geweihte vom Heiligen
Reich Gottes, die wie aus einer anderen Welt zu uns
zu kommen scheinen, und die -Bürgschaft einer anderen
Welt uns mit Blick und Ton und Wort ins Herz zu legen
wissen. So einen hob ich diesen Sommer in Baden —
nicht gesprochen, aber gesehen, und erkannt für das, was
er ist. Er zog unter dem großen Gewühl von Badegästen
aller Art zuerst meine Aufmerksamkeit an sich und hielt
sie, wo er zu sehen war, ausschließend fest. Ich taxierte
ihn zuerst nach einem dunklen Gefühl für einen wallonischen
Geistlichen. An der Tafel gings mir wie ein Licht
in der Seele auf, daß Jung-Stilling im „Heimweh" sagt,
die ächten Jünger Jesu haben etwas in Miene und Haltung
, das sie auf den ersten Blich kennbar macht und nicht
nur von den übrigen Menschen, sondern selbst von den
frömmelnden und spielenden Lammes Jüngern sicher
unterscheidet. So einer, dachte ich, ist dieser Mann — und
ich wäre gerne auch so einer... Aber ich war an eine
andere Table d'hote eingeladen und fuhr nach Tisch wieder
fort. Indessen kann ich dem Heinrich Stilling, wo ich
ihn sehe, die Richtigkeit seiner physiognomischen Behauptung
verbürgen, denn wie ich in der Folge erfuhr,
war es — er selber."

Nun, soviel von dem Kurgast Johannn Peter Hebel an
der table d'hote im Hirsch oder im Lamm — dem heutigen
Holland-Hotel — oder im Badischen Hof, den damals
Weinbrenner aus dem säkularisierten Badener Kapuzinerkloster
für den geschäftstüchtigen Herrn Verleger
Cotta aus Stuttgart zu einem vornehmen Badhotel umbaute
; in den späteren Jahren war Hebel oft hier bei
Cotta zu Gast, nachdem der große Verleger der großen
deutschen Dichter auch ihn unter seine Autoren aufgenommen
hatte.

Es war nicht nur das Vergnügen, in dem nahen und
seit einigen Jahren vornehm gewordenen Kurort anzukehren
, in den Kuranlagen spazieren zu gehen und alte
und neue Bekannte zu treffen, an der table d'hote mit
dem Adel und neben Badhuren zu speisen, was den Karlsruher
Professor und Kirchenrat immer wieder nach Baden
-Baden lockte, er war auch, was man heute einen echten
Kurgast nennt. Und Hebel kannte sich gut aus in
der Badener Therapie:

„Vielleicht ist es nur eine rheumatische Materie, die
Ihnen bisher so viel Schmerzen verursachte", schrieb er
unterm 5. Juli 1812 an Gustave Fecht. „O, wie zuträglich
wäre Ihnen alsdann Baden gewesen. Ich kanns nicht vergessen
. Doch fange ich an zu glauben, daß weniger die Bestandteile
, als die Wärme des Bades wirkt. Baden Sie nur

nicht zu warm, bleiben Sie nicht zu lang darin sitzen! Ich
gieng in Lörrach lange mit dem Gedanken um, nochumzusatteln
und Medicin zu studieren. Die Schwierigkeiten
waren groß. Aber wenn ich sie besiegt hätte, so könnt
ich jetzt Ihr Arzt seyn."

Und wenige Wochen später mahnt er seine Freundin
nochmals und schreibt ihr:

„Wie gut bin ich dem Riedlinger Bad, daß es Ihnen gut
zuschlägt. Aber ich glaube gar, Sie baden täglich zweimal
? Das gefällt mir nicht. Doch hoffe ich, der Arzt habe
es Ihnen gutgeheißen. Vielleicht ist auch die Kraft des
dortigen Wassers so gering, daß man zweimal baden muß,
wenn man etwas davon spüren will. In Baden wollt ich's
niemand raten! Man wäre in 14 Tagen ein Engel, so schön
als es einen gibt. Ich hüte mich, es auch nur einmal zu
versuchen wegen der sonderbaren Wirkung, die es auf
mich macht."

Zweifellos tat seinen rheumatischen Beinen in jenen
Jahren das Baden in Baden-Baden gut; schließlich war er
1814 auch nicht mehr der jüngste, als er seinem Freund
Hitzig aus Baden schrieb, in einem Brief, in dem sich
Weltgeschichte und Rheuma ein seltsames Stelldichein
gaben:

„Man lebt hier so rosig, daß man sich schämen muß —
in dieser Insula fortunata mitten in dem Meere von Tränen
und Ungemach. Seit langer Zeit machte mir ein eingefressener
Rheumatismus im linken Bein viel lästigen
Zeitvertreib. Ich trage ihn — nach Baden. Wie, wenn du
auch dahin kämest, wenn die Kaiserin von Europa und
Asia dort ist?"

— womit Elisabeth Alexiewna, die Gattin des Kaisers
Alexander von Rußland, eine geborene Prinzessin von
Baden, gemeint war, die in jenem Jahr des großen fürstlichen
Rendezvous aller Gegner Napoleons zu ihrer Mutter
, der Markgräfin Amalie, der Schwiegermutter von
Europa, nach Baden-Baden kam. Ein andermal berichtet
der Kurgast Johann Peter Hebel:

„Am Donnerstag war ich mit Obrist Wieland auf 1 Tag
in Baden. Es ist sehr voll, doch wie es mir schien, nicht
so lebhaft wie sonst. Wir badeten noch vor dem Nachtessen
. Es tat mir sehr wohl. Ich fühle mich ganz frei. Auch
spüre ich seitdem weniger Schmerzen, so daß ich noch
einmal auf ein Paar Tage hinauf will."

Hierzu wird man für den Kurgast von heute eine kleine
Anmerkung anfügen müssen: man badete damals noch
in seinem Hotel, und da Hebel meist im Badhotel Hirsch
neben dem Ooser Tor abstieg, so war es einfach für ihn,
noch rasch vor dem Nachtessen ein Bad zu nehmen, besaß
doch der „Hirsch" seit Jahrhunderten ein markgräfliches
Lehensrecht auf Thermalwasser.

Noch gab es keine Badanstalten, dafür war aber die
Zahl der Badherbergen in der zu Hebels Zeiten nQch mit
Mauern umwehrten, mit Türmen und Toren geschmückten
Stadt groß. Groß war auch die Zahl der Gäste, die in
den Häusern der Bürger quartierten; wenn man die Kurlisten
aus den Jahren am Anfang des 19. Jahrhunderts
durchblättert, findet man viele Grafen und Barone und
hohe Herren aus ganz Europa, Diplomaten und sogar
Fürsten, die inkognito bei einem braven Schreinermeister
oder bei einem Nagelschmied wohnten — und dort sogar
badeten. Denn es gab genug Thermalbrunnen in der
Stadt, wo man das heiße Wasser direkt aus einer der elf
Quellen holen konnnte, um zu Hause die hölzerne Badewanne
für den hochwohllöblichen Kurgast zu füllen. So-

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