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Der germanische Staat war ursprünglich ein einheitlicher
Volksstaat, hat aber diese Eigenschaft durch
das erstarkende Königtum verloren und seitdem geht
durch das germanische und deutsche Verfassungsleben
ein Dualismus hindurch, der sich immer wieder
in den verschiedensten Formen äußert, ja in manchen
grundsätzlichen Fragen des Staatsaufbaues zu einem
Gegensatz ausgestaltet. Besonders sinnfällig tritt dieser
Unterschied zwischen zwei eigenberechtigten Faktoren
im Verhältnis von Reich und Territorien in
Erscheinung; ihr Neben- und Übereinander ist kennzeichnend
für den deutschen Staat, in dem so weitgehende
und eigenartige Verflechtungen und Verwicklungen
von selbständigen Rechten und Pflichten, wie
sie im modernen Staat nicht mehr denkbar sind, vorkommen
. Der germanische Staat ist noch durch die
Tatsache charakterisiert, daß er eine Gemeinschaft
von Personen ist, die durch persönliche Bande, besonders
die Treue, zusammengehalten werden. Dem
Personenverbandsstaat entspricht eine Gliederung und
Aufteilung der staatlichen Rechte und Funktionen im
Sinne der Gefolgschaft und des Lehenswesens. Diese
Form des Staates finden wir im Reich. Wohl ist vom
Reich aus versucht worden, mit seinen unmittelbaren
staatlichen Funktionen nach unten vorzudringen, aber
diese Versuche hatten keinen dauernden Erfolg. Ein
solcher war der karolingischen Grafschaftsverfassung
nicht zuteil geworden, weil sie kein unbedingt festes
Instrument in der Hand des Königs blieb. Ebenso
wenig vermochte Heinrich IV. mit seinem wohl nicht
ganz umfassenden Versuch der Hochgerichtsreform
durchzudringen. Barbarossa hat dann noch einmal in
anderer Weise eine Reichsreform versucht, indem er
die in Ausbildung begriffenen Territorialstaaten in
ihrem Bestand anerkannte, aber durch das Lehenrecht
unmittelbar an das Reich binden wollte. Daß Barbarossas
Versuch nicht geglückt ist, war durch beson-
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