Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., J 3366,go-1946/48
Le Messager du Rhin: Almanach pour 1946
Colmar, 1946.1945
Seite: 37
(PDF, 29 MB)
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IE MESSAGER DU RHIN 37

DAS JAHR DES SIEGES
UND DER BEFREIUNG

Eine Rückschau auf die grossen und kleinen Ereignisse von nah und fern

1945! Was bedeutet sie nicht alles diese Jahreszahl,
was ist nicht alles in ihr einbegriffen! So viele Hoffnungen
Millioner Menschen, die in ihr die erlösende Befreiung
von der blutigen Kriegsgeißel und den geschichtlichen
Markstein auf dem in diesem Jahrhundert
besonders dornenvollen Weg zur Befriedung der Welt
erblickten. Für uns ist 1945 das Jahr des Sieges und
der Befreiung, das Jahr, das uns die Erfüllung unserer
heißesten Sehnsucht brachte: das Kriegsende, der Sieg
der guten über die böse Sache, der Zivilisation über die
Barbarei. Wenn wir jetzt in langen Winterabenden in
der warmen, heimeligen Stube — seid glücklich, daß ihr
eine solche habt — den Ablauf dieses ereignisreichen
Jahres vor unserem geistigen Auge erstehen lassen,
wenn wir erstmals wieder Friedensweihnachten feiern
und den weinfrohen — so weit vorhanden — Rutsch
vom alten ins neue Jahr unternehmen, so tun wir dies
in der Gewißheit, die Fesseln endlich abgeschüttelt zu
haben und in der Überzeugung als freie Menschen
wieder der hoffentlich schöneren und friedlicheren Zukunft
entgegensehen zu können. Der Film 1945 aber,
aus dem Kunterbunt der Schlagzeilen und des Gedächtnisses
entstanden, allerdings etwas in die Optik subjektiver
Empfindungen gedrängt, dieser Film, der die
großen und entscheidenden Ereignisse in der Welt, in
unserem wiedergefundenen Vaterland und in unserer
engeren Heimat, oft aber auch die kleinen, dramatischen
und glücklichen Außenseiter des Alltags streift,
soll rasch an unseren Augen vorübergehen.

Im höllischen Toben der Schlachten, im Hagel der
mörderischen Bomben, in Not und in Furcht ging das
Jahr 1944 zu Ende. Doch in unserem Innersten keimt
es, die Brust schwellt an, jeder fühlt es ungeduldig :
nicht lange mehr kann der Wahnsinn dauern, das arrogante
Gebäude des « Tausendjährigen Reiches », auf
Blut und Tränen errichtet, wankt in allen Fugen, ein
Pfeiler nach dem anderen bricht. Im Osten, im Westen
und im Süden stürmen die verbündeten Heere vor, den
Feind schlagend, überall dort wo er sich stellt. In einem
kühnen Ansturm hatten die Befreier im südlichen Teil
des Elsasses bereits Mülhausen erobert. Der ganze
Sundgau ist seit Wochen befreit. Stolz weht auch schon
die Trikolore auf dem Straßburger Münster. Nur im

mittleren und im nördlichen Elsaß krallt sich der
Feind noch am Boden fest.

Kein Lichtlein brennt am Tannenbaum und statt
eines champagnerfeuchten Reveillons, sitzen sie in
Straßburg und in Mülhausen im naßkalten Keller, statt
fröhliches Glockengeläute, grollt dumpf über ihnen der
Donner der Kanonen und der berstenden Bomben.
Weihnachten und Neujahr 1944—1945 wird der elsäs-
sischen Bevölkerung wohl lange gedenken.

Ein dichter, weißer Teppich legt sich auf Nord-,
Mittel- und Westeuropa. Der kalte Januar ist diesmal
besonders kalt und unfreundlich. Der Krieg geht weiter.
Er drängt, wie eine Bach'sche Orgelsuite, zum brausenden
Finale. Im Osten schiebt sich die russische Walze
immer näher heran. Hunderttausende aus Schlesien und
Ostpreußen flüchten nach Westen. Auf offenen Eisenbahnwagen
sind sie zusammengepfercht: Frauen, Greise,
Kinder mit eisigen Gesichtern und erstarrten Gliedern.
An jeder Station werden die Erfrorenen, meist Kinder,
ausgeladen und in der Nähe des Bahnkörpers bestattet.
Grausiges Flüchtlingselend, das ehedem das Nazireich
in Europa einführte und nun am eigenen Leib verspürt
. Das sowieso schon überfüllte Reservoir der Mitte
Deutschlands stopft sich voll. Auch im Westen geht es
von neuem los. Die deutsche Offensive, die Goebbels
in seiner Weihnachtsbotschaft feierte, ist, einer letzten
Zuckung des sterbenden Tieres gleich, gänzlich zusammengebrochen
. Mit beispiellosem Elan beginnt der Ansturm
auf den großen Rheinstrom. Im Elsaß brechen
nach blutigen Kämpfen die Kolonnen durch, erobern
Colmar (2. Februar) und marschieren in das
schwer verstümmelte Neuf-Brisach ein. Und während
die Russen Breslau umzingeln, die Schotten in Goch
einrücken, empfangen in diesen ersten Februartagen
Mülhausen, Colmar und Strassburg in einem einzigen
trikoloren Fahnenmeer und in einem beispiellosen Jubel
der Begeisterung den Mann, den General, der am
18. Juni 1940, allein auf sich selbst angewiesen, dem
Unterdrücker Europas das entschlossene Nein entgegenschleuderte
.

Der Feuerhagel geht weiter, doch schon sprießt die
erste Knospe am Strauch, vom baldigen Erwachen der
Natur kündend. Mit dieser Natur erwachen auch zwei


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