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LE MESSAGER DU RHIN
Spielzeug unserer Gelehrten wenig Vertrauen ein... Da
hören wir doch noch lieber die frohe Botschaft des
Optimisten Pineau, der, soeben aus Amerika zurückgekehrt
, uns versichert, daß wir diesen Winter nicht
hungern werden.
Das Elsaß ist in Trauer. Mgr Ruch hat uns verlassen.
Die imposanten Bestattungsfeierlichkeiten vom 4. September
im Beisein des päpstlichen Nuntius, von 2 Kardinälen
, 4 Erzbischöfen, 12 Bischöfen und 4 Generalen
zeugten von der tiefen Verehrung und der Liebe, die
sich der Bischof in seiner Diözese erfreute. Zwei Tage
vorher hatte auf dem « Missouri » die feierliche Unterzeichnung
der Kapitulation Japans stattgefunden. Zum
ersten Male seit über 2000 Jahren beugte sich ein Gott
und Kaiser als Besiegter vor dem Sieger. In Toulouse
wütet ein Zyklon und in Rennes öffnet sich das Tor
eines Gefängnisses: Violette Nozieres, die Giftmörderin
ist wegen ihrer guten Haltung nach lOjähriger Haft
begnadigt worden.
«Franzosen, startet die 4. Republik! » Mit diesen
Worten eröffnet General de Gaulle den Wahlkampf.
In London beginnt die Außenminister-Konferenz, die
14 Tage später infolge der intransigenten Haltung Mo-
lotovs völlig scheitert. In Toulouse stürmen 1500 Frauen
die Geschäfte und holen sich 8000 Stück Geflügel, in
Belsen beginnt der Prozeß der Bestien Kramer, Greese
und Konsorten. Ganz Frankreich wählt seine neuen
General- und Gemeinderäte. Das Elsaß verzeichnet einen
glänzenden MRP.-Sieg, in Belgien wird das Königshaus
heftig angegriffen. Leopold rechtfertigt sich : «Ich
wahrte nur die Ehre des Landes ». Doch statt heimzukehren
, läßt er sich in der Schweiz nieder. Der Verräter
Darnand wird zum Tode verurteilt. General de
Gaulle begibt sich nach Deutschland. In Straßburg aber
spricht er die mutigen Worte : « Der Rhein soll keine
Barriere sein ». Ein zweiter Schandprozeß beginnt : der
Prozeß Laval. 14 Tage später wird der Verräter unter
dramatischen Umständen hingerichtet. Am Stadtrand
von Jerusalem werden Zeugnisse der Kreuzigung Christi
gefunden, in Rom und Mailand manifestieren Kommunisten
und Sozialisten auf den Straßen : « Hinaus
mit den Alliierten ». Im Elsaß aber erzählen die Heimgekehrten
aus Tambow von dem Sowjet-Paradies und
von ihren Leiden in der fernen russischen Steppe. Und
wieder schreitet Frankreich zur Urne. Drei große Parteien
, M.R.P., Sozialisten und Kommunisten gehen aus
der Wahl hervor. Die Partei der HH. Daladier und
Herriot erleidet eine vernichtende Niederlage. Auch
diesmal wieder feierte der MRP. im Elsaß einen glänzenden
Sieg.
Schon zieht die bunte Palette des Herbstes über die
Natur. In seiner Zelle in Nürnberg begeht Robert Ley,
von seinem Gewissen geplagt, Selbstmord. Paris kündigt
die Schaffung eines Kommissariates für Atomenergie
, H. Pineau Verbesserungen im Ravitaillement
an. Wir leben mitten im schönsten Frieden, aber in
Saigon toben blutige Kämpfe und in China stehen wieder
3 Millionen marschbereit. Robert Wagner, Ex-Gau-
Ieiter des Elsaß hat Wort gehalten : er kommt wieder
nach Straßburg zurück, in anderer Begleitung als er
sich's gedacht hatte allerdings. Nun sitzt er hinter
Schloß und Riegel und denkt an das Verbrechen nach,
das er an 30.000 jungen Elsässern begangen hat.
11. November! Blätter fallen! Frankreich ehrt die
Toten beider Weltkriege. Am 13. wählt die Constituante
General de Gaulle zum Regierungspräsidenten.
Doch H. Thorez macht Schwierigkeiten und das Land
erlebt seine erste politische Krise seit der Befreiung.
Zum Glück nur während fünf Tagen. Es kommt zum befreienden
Kompromiß und General de Gaulle ist nun
in der Lage, dem Lande die erste Regierung der neugeborenen
4. Republik vorzustellen. Und wieder überstürzen
sich die Ereignisse. In Nürnberg steigt der Prozeß
der Kriegsverbrecher. Tag für Tag verlesen die Ankläger
die Berichte. Zu Bergen schichten sich die Verbrechen
. Der Mann der Straße frägt : wozu dies alles?
Die Zeitung antwortet : Dokumentation für die Nachwelt
. Rudolf Hess schlägt dem Psychiater, der ihn für
verrückt erklärte und dem Verteidiger, der für die Absonderung
seines Falles plaidierte ein Schnippchen. Die
Amnesie war bloß simuliert. Der Prozeß geht weiter.
Oesterreich wählt : Vernichtende Niederlage der Kommunisten
. Im Iran rebellieren Aufständische mit den
Geldern Moskaus, und mit den gleichen Geldern setzt
vermutlich der Diktator Jugoslawiens König Peter ab
und ruft die Republik aus. In Paris aber wird die erste
Strukturreform geboren: die Constituante billigt den
Gesetzentwurf über die Nationalisierung der Großbanken
. Seltsam! Kein Arbeiter, kein Bauer, kein Beamter
, niemand verspürte auch nur die leiseste Zuckung
dieses finanzpolitischen Erdbebens.
Und der Alltag geht weiter, der Alltag mit seinen
großen und kleinen Sorgen, mit seinen Sorgen und
Nöten für Reich und Arm, hauptsächlich für Arm. Auf
den Marktplätzen — wir sind bereits Mitte Dezember —
stehen die Tannenbäume. Gold- und Silberfäden zieren
bereits die Schaufenster. Vorweihnachtsfreude ist eingekehrt
in die Herzen.
Weihnachten 1945! Millionen Gebete steigen an diesem
heiligen Abend zum Himmel empor. Nur eine
Hoffnung erfüllt die Herzen : möge dieser Frieden
dauern, möge er echt sein, damit Europa, damit die
Welt endlich in den Genuß der schöneren und gerechteren
Zukunft kommt, die alle Menschen schon so lange
ersehnen.
Das aber wäre die schönste und zugleich ergreifendste
Apotheose dieses Films.
Rene ALBERT.
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