http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/messager_rhin_1946/0047
ERZAHLUNGEN
VVVVVWVVVVWWVVVVVVVA/VVVVW
Die Hüttingermühle
VON PAUL STINTZI
Scharf strich der Nord üder das Tal des Birsig, pfiff um
die Flühen, die ob dem Dörflein Burg jäh aufragten,
heulte durch den Tann droben am Blauen, schlug das
Bächlein in seinen eisigen Bann, sang in der »Chunscht«
in den Dörfern ringsum, in Leimen und Rodersdorf, sein
grimmiges Lied. Wie wohl es tat, ihm zu lauschen in
glücklichem Geborgensein drinnen in der warmen Stube!
Gnad' Gott dem, der jetzt noch draußen war zu so später
Abendstunde, in dem beißenden Wind und dem
langsam einsetzenden Schneetreiben! Immer eintöniger
wurde das Grau, immer dichter die Flocken, immer
stärker das Dunkel.
»Mußt dich eilen, Morand, wenn du noch vor Nacht
Rodersdorf erreichen willst«, sprach der einsame Wanderer
zu sich, der von Leimen kam und gar müde schien.
Seit Wochen war er unterwegs, hatte Täler durchquert,
Höhen überschritten, Dörfer und Städte gesehen, bei
Wind und Wetter draußen, oft von der Gnade der Mitmenschen
lebend, noch öfters hungernd und frierend.
Aber immer nur einen Gedanken im Sinn, ein Verlangen
im Herzen: heim, heim!
Bei Basel hatte er die Heimat wiedergesehen. Des Sundgaues
erste Hügel waren vor ihm aufgetaucht, als er die
stolze Münsterstadt verlassen. Da wa^en sie wieder die
Dörfer, die er als Kind gekannt, wenn er mit dem Vater
nach Basel gefahren. Bottmingens Schloß mitten im
Wasser, die Felswände bei Flüh und dann bei Leimen
die Landskron, die wehrhafte Feste. Und dort Heiligenbrunn
, wohin ihn die Mutter an St. Walburgas Tag immer
mitgenommen, und Liebenzweiler. Wie ihm das alles
so vertraut schien, als wäre er niemalen weit weg gewesen
, als hätte er das nur geträumt, was zwischen
damals und heute lag.
Um den Morand, der sinnend seines Weges zog, tanzten
die Schneeflocken, und unheimlich war um ihn das
Grau. Wie Gespenster reckten drüben im Feld die Bäume
ihre kahlen Äste, als wollten sie nach ihm greifen.
Und der Sturm tollte über das Tal, raste um ihn, brauste
im nahen Wäldchen, als tobe die wilde Jagd in den
Lüften. So hatte der Morand als Kind manchen Winterabend
erlebt in der Hüttingermühle. Wie war doch das
alles! Der Vater, einer, der nie ruhig bleiben konnte,
der immer schuften und schaffen mußte, die Mutter, die
stille, liebe Frau, die ihm immer wieder erzählte von der
Mühle, auf der seine Familie seit zwei Jahrhunderten
saß. Und von einem Dörflein, das einstens hier gestanden
und in einem Krieg für immer verschwunden. Im
Hölzle ächzten dazu die Bäume, und im Kamin rumorte
es ganz unheimlich. »Der Freischütz geht übers Land«,
fügte dann die Mutter hinzu, »der verworfene Schütze,
der Freikugeln mit dem Leibhaftigen gegossen«. Und
stets schloß sie ihre Mär: »Böse Zeiten sind's, Morand,
der Herrgott straft die Welt in furchtbarem Krieg. Bet'
Kindlein, bet', morgen kommt der Schwed' . . .«
Dann war eines Tages fremdes Kriegsvolk in das Pfirter
Amt eingedrungen. In den Dörfern an der III war nichts
mehr sicher, nicht Frauenehre, nicht Bauerngut. Tag für
Tag hörte man von neuem Greuel, neuer Freveltat. In
Oltingen hatten sie einem den Schwedentrunk kredenzt
, weil er ihnen sein Geld nicht ausgeliefert, und in
Wolschweiler und Lutter hatten sie geplündert und geraubt
wie die leibhaftigen Teufel. Da erhoben sich die
Sundgauer im Amt Pfirt gegen den frechen Eindringling
. Morand war damals noch ein Bub gewesen; aber
war es nicht gestern erst, daß in des Vaters Mühle die
Bauern zusammenkamen, aus Wolschweiler der Geschworene
Christian Biegenwald ? Freunde hatte der
mitgebracht aus allen Dörfern an der obern III, wehren
wollten sie sich und zusammenstehen gegen den schwe-
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/messager_rhin_1946/0047