Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., J 3366,go-1946/48
Le Messager du Rhin: Almanach pour 1946
Colmar, 1946.1945
Seite: 48
(PDF, 29 MB)
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48

LE MESSAGER DU RHIN

der Stern i

Eine Weilmacktsgeschidite

Als ich ihn suchte, den geheimnisvollen Stern, fand ich
ihn nicht, — aber dafür fand ich eine Freundschaft, eine
ganz seltene Freundschaft. Denn das kann man ja wohl
sagen, daß wir Freunde waren, der alte »Wunderlig«
und ich, wenn er auch gut und gern hätte mein Großvater
sein können. Noch heute schüttle ich den Kopf
vor Staunen, wie etwas so unerwartet Schönes zustande
kommen konnte.

An einem bitterkalten Dezembermorgen war es — eine
Woche vor Weihnachten vielleicht — da trottelte ich
verdrossen zur Schule.

Als ich in das alte Gäßchen einbog, in dem unsere
Schule lag, war es dort noch beinahe dunkel. Kein
Kind weit und breit. Mißmutig schlenkerte ich die
Schultasche hin und her: nun war ich auch noch zu früh
dran! Unsere Kathrin hatte wieder einmal die Uhr vorgestellt
.

Ich schaute bald rechts, bald links — wenig genug gab's
zu sehen. In den hohen, alten Häusern in der Gasse
brannten trübe Lämpchen. Da blieb ich stehen, um wenigstens
die hin- und herhuschenden Schatten hinter
den Fenstern zu beobachten. Wie trübselig war es doch,
so ganz allein in diesen finsteren, kalten Morgen hineinzulaufen
! Und noch acht Tage bis Weihnachten —
acht endlos lange Tage! Ob wir heute die Weihnachtsgeschichte
zu Ende lesen würden? Ich war an der Reihe
— oh, ich konnte sie wortwörtlich hersagen, ohne auch
nur ein einziges Mal ins Buch zu sehen. Auch die Geschichte
von den heiligen drei Königen aus dem Morgenland
: »Und der Stern ging vor ihnen her, bis er stand
über dem Stall, wo das Kindlein war. . .«
Der Stern ging vor ihnen her . . . diese Stelle gefiel mir
immer am besten. Ich sagte sie ein paar Mal laut in die
Morgenstille hinein: der Stern ging vor ihnen her . . .«
Ach, wenn ich doch damals dabei gewesen wäre! Wenn
ich ihn doch jetzt noch sehen könnte! Über die flak-
kernden, huschenden Lichtlein hinter den Scheiben hob
ich den Blick hinauf. Nein, da war nicht ein einziger
Stern am Himmel. Und die Häuser lagen düster und

schweigend. Aber dort — oh, dort —--mein Herz

klopfte so heftig, daß ich die Schultasche fest an mich
preßte. Dort hinter dem großen Torbogen schimmerte
es durch die Ritzen — war das — vielleicht — das war
ja . . .? Lautlos schlüpfte ich aus meinen Holzschuhen
und schlich zum Tore hin. Durch das sternförmige, altertümliche
Schlüsselloch fiel ein Schein, ein warmer,
rötlicher Schein. Kam er nicht — aus dem Stall —? der

Stern ... Im Übermaß eines unendlichen Glückes schloß
ich die Augen. Meine Finger umklammerten den eisernen
Türgriff. Er klapperte laut in meiner zitternden
Hand. Auf einmal gab die Tür unversehens nach, und
ich stolperte, geblendet, in die plötzliche Helle.
»Was häsch dü do ummenander z'schpektakle?« fuhr
mich eine barsche Stimme an.

Der Besitzer des Hofes, ein alter Bauer, rüttelte mich
unsanft am Arm. Ich kannte ihn nur vom Sehen, denn
so oft man auch am Tor vorüberkam, immer war es
verschlossen. Manchmal hatte ich.wohl reden hören von
den Leuten hinter dem hohen Torbogen: der Wunderlig
und seine Schwester seien gewiß halbe Heiden, wenn der
Herr Pfarrer ihnen auch das Wort rede. Wer sich nie
im Hochamt und in der Vesper sehen ließe und nur
immer bei Nacht und Nebel in die Frühmesse schlich,
der sei nun einmal kein echter Christ. Geizig wäre der
Wunderlig auch —: die Wirte würden nicht reich von
ihm. Dabei hätte er die schönsten Felder im Bann. Und
dann — man solle ihn doch nur anschauen: immer so
ein Schmollen im Gesicht, als tät er sich über alle lustig
machen.

Hie und da hatte ich auch ein paar merkwürdige Worte
aufgefangen: zwei alte Ledige — der Wunderlig sei eben
ein neunmal Gscheiter — und seine Schwester, das

Neesle, sei auch im Kopf nicht ganz recht---

»Was häsch do z'spektakle?« der Alte wiederholte seine
barsche Frage.

»Der Starn — i ha gläubt, i gsieh dr Starn iwer'm
Stall.«

Ängstlich forschte ich in seinem Gesicht. Erneutes

Schütteln.

»Was fir e Starn?«

»Dr Stern vu Bethlehem!« Ich war ganz aufgeregt.
»Dr Stern vu Bethlehem!« Er verzog den Mund zu einem
spöttischen Lachen. Ich hätte mich am liebsten irgendwo
verkrochen, aber er hielt noch immer meinen Arm fest.
»Do lüeg, was diner Starn isch —« er lachte laut auf.
-Nix wia-n-e-n-elendigi Stalladaarn ! « Und wirklich
hing da über dem Eingang zum Stall eine ungefüge große
Laterne.

»O jeh!« schluchzte ich auf.

Die Züge des Alten wandelten sich urplötzlich. Er betrachtete
mich mit einem guten, mitleidigen Lächeln.
»Aarms Kind! 's isch scho mang eim so gange: mr süecht
e guldige Starn un findet numme-n-e-n-aarmseligi Ladaarn
. . . Kumm, müesch net griene.«


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