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LE MESSAGER DU RHIN
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Peters späte Liebe
von Charles HUMMEL
Peter wohnte in einer der stillen, alten Gassen Weißen-
burgs. Seine Eltern waren ehrsame und rechtschaffene
Bürgersleute, die sich emporgearbeitet und das Haus
mit dem malerischen Fachwerk erworben hatten. Von
Sonnenaufgang bis in die späte Nacht hinein arbeitete
der Vater in einer Gärtnerei, die Mutter, von jeher gewohnt
, fleißig die Hände zu regen, hatte einen Speze-
reihandel angefangen.
Peter, der das Geschäft weiterführte, war ein Träumer.
Für ihn gab es die Wirklichkeit nicht, er stand außerhalb
des Alltäglichen und Tatsächlichen und baute sich
seine innere Welt selbst zurecht zum großen Verdruß seiner
Eltern, die gern einen tüchtigen Menschen aus ihm
gemacht hätten. Er schwärmte für Kunst und Literatur,
kannte die Geschichte seines Heimatstädtchens, der alten
Abtei, in der Otfried um 860 seinen »Christ«, das
große Epos vom Leben und Sterben des Gottessohnes,
schrieb, die Kämpfe und das Geschehen in der späteren
Reichsstadt, die blutigen Schlachten, die hier an den
Ufern der stillfließenden Lauter, an der Grenze zwischen
dem Elsaß und der Pfalz geschlagen wurden. Er spazierte
gern durch die meist engen Gassen und ließ den Zauber
der Vergangenheit auf sich wirken, der alten Fachwerkbauten
mit ihren überhängenden Stockwerken, den geschnitzten
Balken, den offenen Holzgalerien, er hatte
Freude an den malerischen Winkeln, Ecken, Torbogen
und Ausblicken besonders gegen die mächtige und massive
Stiftskirche von St. Peter und Paul. Abends ging er
gerne auf den hohen, von Türmen unterbrochenen,
schattigen Wällen hin und konnte sich ihrem eigenartigen
Reiz nicht entziehen. Oft, wenn die Tage blendend
und heiß waren, wenn dem Vater draußen im
Felde dicke Schweißtropfen über Gesicht und Hände
rannen, lag Peter irgendwo in einem lauschigen, schattigen
Winkel am Waldrand oder in einem der Weinberge
, die am Hang emporkletterten, und blickte sinnierend
über das zu seinen Füßen ruhende Städtchen, zur
Scherhol oder zum Geisberg. Dort unten in der Alten-
stadter Pappelallee marschierten einst römische Kohorten
, hatte sich doch Altenstadt aus einem römischen
Kastell gebildet, dort unten in den Straßen und über
die Plätze wandelten einst mächtige Äbte und gelehrte
Mönche, rangen später zähe und energische Bürger gegen
das Kloster. Hier schrien die aufständischen Bauern
der Jahres 1 525, tobte die Soldateska des Dreißigjährigen
Krieges, fuhr der entthronte Polenkönig Stanislaus
Leczinski still vorbei, dort auf dem Geisberg, auf den
Höhen der Scherhol zu tobten die Schlachten der Französischen
Revolution und des Jahres 1870. Auch andere
Gestalten traten vor sein Auge in nebligen Schleiergewändern
, die weiße Dame vom Pauliner Schlößchen, die
ihr blendend weißes Linnen im Feld zum Trocknen ausgebreitet
, das weinende Mädchen, vor dem Lindenbäum-
chen kniend, unerlöst und ewig unglücklich, und das
Lätzekäppel, der gefürchtete Kobold mit der unsichtbar
machenden Tarnkappe.
Aber es gab auch Stunden in Peters Leben, da wehte der
Sturm in ihm, da zog eine große Unruhe in ihn, ein
wildes Verlangen nach Eleganz, nach Luxus, nach einem
ungekannten Glück, und Härte und Bitterkeit legten
sich über sein Wesen. Er war dann unausstehlich, trotzig
, anmaßend und doch zerschlagen und elend, und
die erhabenen Träume zerrannen. Dann blieb ihm auch
das Geschäft verleidet, ekelte ihn das bescheidene, gezwungene
, in enge Paragraphen gezwängte Einsiedlerleben
an, und all die gebundene, niedergehaltene Lebenskraft
, die sein Blut in Wallung brachte, drängte gewaltsam
zum Ausbruch, riß alle von der Etikette verhängten
Fenster und Türen seines inneren Menschen
auf, warf die monatelang getragene Maske ab und dahinter
glühte überschäumende Jugendkraft. Aber das
Gefühl, daß er sich ein schrankenloses Ausleben nicht
erlauben dürfe, da er ein armer Bursche war, dessen
Eltern, einfache Arbeitsleute, von ihrem kargen Verdienst
lebten, hielt ihn vor Dummheiten zurück. Ohnmächtig
ballte er die Fäuste gegen das Geschick.
Die Jahre vergingen, ohne daß es Peter zu etwas Besonderem
gebracht hatte, und es wurden allmählich in
der Familie und unter Freunden Bemerkungen laut, warum
Peter sich keine Frau suchte. Er wäre in den besten
Jahren und sollte sich versorgen, hieß es. »Du mußt
ein vermögendes Mädchen heiraten; keines von der
Gasse, das nichts hat als wie es geht und steht«, hatte
seine Mutter immer gesagt. Da war Peter mitunter grob
geworden oder peinlich berührt solchen Reden ausgewichen
. Welche unüberbrückbaren Gegensätze bestanden
doch zwischen seiner idealistischen Veranlagung
und der prosaisch-materialistischen Lebensauffassung
der anderen.' Noch nicht einmal die Mutter verstand
ihn. Der Mammon Geld, Geld, Geld, beherrschte sie
alle! Und wie haßte er es doch im Grunde seines Herzens
! Er betrachtete es als den Fluch der Welt! Ein
Teufelswerk!
*
Im obersten Stockwerk des grauen Hauses wohnte eine
ältere Dame, die jahrelang in der Hauptstadt gelebt
hatte. An einem der wundervollen Spätsommertage, die
einen so eigenartigen Reiz haben, an denen die spitzen
Kirchtürme in einem feinen Dunst stehen und über der
altersgrauen Stadt zarte Schleier hängen, erhielt dfe
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