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LE MESSAGER DU RHIN
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Fräulein Ebel nicht zur gewohnten Stunde seinen Laden
aufsuchte. Kunden kamen in der Erntezeit in den Mittagsstunden
wenig, da der größte Teil der Leute im Feld
arbeitete. Die Stille und das Alleinsein ließen Peter das
Verlangen nach Unterhaltung doppelt empfinden. Mit
verschränkten Armen stand er an diesen Nachmittagen
oft hinter dem Ladentisch und dachte, wie es wohl sein
würde, wenn sie an seiner Stelle hier stehen würde, Oder
er ging durch das Haus, besichtigte die Wohnräume und
überlegte. Er glaubte, daß hier ein gemütliches Wohnzimmer
und dort ein hübscher Winkel für zwei stille
Menschen sein könnte. Er öffnete die Schränke, in denen
wohlverwahrt und wohlgeordnet der Mutter blütenweißes
, selbstgesponnenes Getüch lag. Er befaßte sich im
Geiste mit der Umgruppierung der Möbel und sann vor
sich hin. Und der Mittelpunkt, um den seine Gedanken
kreisten, war Fräulein Ebel. Sie ließen ihn auch dann nicht
los, wenn er die blanken Schalen mit Gerste, Reis, Linsen
, Bohnen anfüllte, wenn er Kaffee und Zucker, Gries;
und Mehl in die Tüten abwog oder wenn er eine neu
angekommene Kiste ihres Inhaltes entleerte. Er sah ihr
Bild vor sich, glaubte den prickelnden Duft ihres Haares
in sich zu saugen. Auch auf sein Äußeres bemühte
er sich, noch mehr Wert als bisher zu legen. Er kleidete
sich mit mehr Sorgfalt, scheitelte und bürstete sich das
Haar und straffte den Körper, den der Geist fügsam
formt wie der Töpfer auf seiner Scheibe den gefügigen
Ton. Formt zum Stückwerk, formt zum edelsten Kunstwerk
. Nicht blinde Schicksalsmächte, nicht Vererbung
sind maßgebend. Der Geist überträgt die geistige Schönheit
auch auf die äußere Erscheinung.
Wochen vergingen. Aus ihnen wurde ein Monat, ein
Vierteljahr. Die anfänglich rein geistigen Beziehungen
reiften in Peter allmählich zur Liebe aus. Doch hatte er
bis jetzt noch nicht das passende Wort zu einem Antrage
| gefunden.
Es war an einem heißen Sommertage. Über den grauen
Dächern der Stadt brütete die Sonne. Sie lag in weißer
Glut auf dem Pflaster der Gasse und an den Mauern
der Häuser. Leise vibrierte die Luft. Der Lärm klang gedämpfter
, matter als am Morgen. Die Geräusche schienen
zusammen zu klingen zu einer dünnen Melodie.
Und ihre Töne schlugen müde durch die geschlossenen
Jalousien. Als ob das Leben draußen den Atem anhielte,
war es, als ob es sich entkräftet, abgehetzt, irgendwo in
den Schatten verkrochen und sich dort zur Ruhe gebettet
hätte . . . Der Laden lag im Halbdunkel. Die Waren
in den Schäften und Regalen waren verdunkelt. Bei dem
Betreten des Ladens war man geblendet infolge des
Lichtwechsels. Auf dem Ladentisch standen duftende
Rosen, rote und weise. Peter stand hinter dem Ladentisch,
und sanfte Träume umgaugelten seine Sinne. Er lauschte
den lockenden, wiegenden Melodien, die von irgendwoher
aufstiegen und in jubelnde Akkorde ausklangen.
Peter war mit sich im reinen. Heute sollte es sein.
Heute wollte er ihr sagen, was ihn schon so lange gequält
und was zu bekennen er so lange gezögert hatte.
Heute wollte er sie fragen, ob sie wie ein lichter Sonnenblick
das armselige Leben des Zerschlagenen mit
Licht und Liebe durchdringen, ob sie in seine frierende
Seele, die sich durch so viele Leiden gewühlt, Blühen
und Balsam streuen möge. Sie war wie geschaffen dazu.
Sie gehörte zu jenen schimmernden Menschen, die eine
segnende Götterhand nur ganz selten über die Erde
wirft! Und er träumte von schwarzem Haar, meerestiefen
Augen, einem goldenen Herzen, träumte von immergrünem
Lorbeer, roten und weißen Rosen und einer
Morgenröte, die ein großer Vater zauberte. Aus seinen
Träumen wurde er jäh emporgeschreckt durch das Eintreten
von Fräulein Ebel. Hastig war ihr Kommen,
hastig jede ihrer Bewegungen. Im Auge stand eine Träne
, als sie bleich und anklagend erzählte, daß ihr Vater
soeben ein Telegramm gesandt hätte. Sie sollte ohne
Verzug zurückkehren, um sich seinem Wunsche aus geschäftlichen
und finanziellen Rücksichten mit einem
entfernten Verwandten, der um ihre Hand angehalten
hätte, zu verloben. Wie ein Schlag, wie ein Blitz aus
heiterem Himmel trafen diese Worte Peter. Er brachte
kein Wort über die Lippen. Sein Antlitz ward finster,
geisterhaft fahl. Er wankte. Er kam sich gerade vor wie
ein Verlachter, Verfehmter. Engel hatte er sehen herniederflattern
aus himmelsblauen Sphären mit Rosen und
Narzissen in den Armen. Aber für andere waren
sie bestimmt, und seine armen wehen Hände hatten
danach gehascht voll Sehnsucht. Wie ein Vernichteter
stand Peter hinter dem Ladentisch. Er hörte nur noch
mit halben Sinnen auf das, was Fräulein Ebel sagte. Er
wußte genug. Nur der Gedanke allein hatte in seinem
Inneren noch Raum: Verloren. Aus! Und doch zwang
er sich unbefangen zu scheinen. Es blieb bei einem kläglichen
Versuch. Der angeborene Stolz vermochte sich
nicht über die ihm gewordene Enttäuschung hinwegzusetzen
. Sie war zu plötzlich über ihn hereingebrochen.
»Wie schade!« stammelte Fräulein Ebel. »Wir hatten uns
so vortrefflich verstanden in der kurzen Zeit unserer
Bekanntschaft. Aber leider geht alles Schöne zu Ende.
Doch die Erinnerung wird mir kostbar bleiben.« Unselig
, zerquält, durchwühlt, voll süßer Schmerzlichkeit
und lichter Grazie waren die schlichten Worte. Mit
schwacher Hand strich sie die Locken aus der blassen
Stirn und wischte sich eine Träne fort . . .
Ein Windstoß rüttelte an den Jalousien und an der Tür,
stöhnend und grollend. Es splitterten und brachen der
Harfe Saiten unter der zürnenden Hand. Zerpflückte
rote und weiße Rosen sanken in den Abend, und dumpf
und hohl aufklagend zog es über die Stadt hin. Hinter'
Fräulein Ebel hatte sich die Tür geschlossen. In tiefstem
Schmerz saß Peter da, in sich zusammengekrochen
, verwabert. . . Mit klirrender Geisterstimme schrie
er ihren Namen. Und draußen klatschten schwere Regenschauer
an die Fenster, zuckten grelle Blitze durch
den Abend.
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