Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., J 3366,go-1946/48
Le Messager du Rhin: Almanach pour 1946
Colmar, 1946.1945
Seite: 54
(PDF, 29 MB)
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54

LE ME.SSAGER DU RHIN

Das Leid im -D((J

Zwischen der Spätsommerarbeit und der letzten
Feldbestellung des Jahres sprach Martin eines
Tages im Försterhaus bei Papa Siegel vor, um sich
zu erkundigen, ob er nicht gleich bei ihm in die
Lehre treten könne, da er keine Zeit verlieren
möchte, und da man vorab gar nicht wissen könne, |
wie lange der Krieg noch dauern würde. Als er
am Försterhaus ankam, stand er so ernst und einsam
, fast fremd vor ihm.

Georg war fort, Jeanne war fort, der Student
kam nur spät und selten am Nachmittag heim
oder auch manchmal eine Woche lang nicht, die
Försterin arbeitete im Garten hinter dem Haus, die
sah er erst, als er um das Haus ging, aber es schien,
als wäre alle Freude entflogen, weit fort, mit den
ersten welken Blättern.

Die Försterin pflückte die schönsten Äpfel von
einem wunderbar behangenen Baume und doch
stand keine Freude in ihrem Gesicht. Leise nickte
sie Martin zu, als dieser sie grüßte: «Guten Tag,
Frau Försterin!» ohne zu antworten. «Da pflückt
ihr ja einige Körbe voll von dem einen Baume,
ist der doch beladen! Und die drei andern auch —
da habt ihr Obst in Hülle und Fülle für euch und
mögt noch einige Zentner verkaufen.»

«Ja, Martin», sagte sie jetzt, nicht mehr, und
weniger konnte man nicht sagen.

Martin wurde durch die kurze Antwort verlegen
, er merkte auf einmal in sich drinnen, wie
es herbstelte im Riedwald. Still schaute er vor sich
hin und erst nach einer Weile begann er wieder:

«Ich wollte mit Papa Siegel reden, Försterin.
Ich habe halt etwas auf dem Herzen.»

Martin Hansmännel hatte das so ungeschickt
gesagt, als hätte man denken können, es gelte der
Försterstochter, und dennoch nahm die Frau das
Wort so gleichmütig hin, als hätte sie es überhört.

«Du kannst den Förster vielleicht auf deinem
Rückweg antreffen, er ist ins Dorf gegangen.»

Man merkte dem Ton an, daß die Försterfrau
gar keine Lust hatte mit dem Jungen zu plaudern,
aber auch gar keine; sie hatte es ihm deutlich zu
verstehen gegeben, daß sie am liebsten mit ihren
Gedanken ganz allein sein möchte.

«Da will ich halt versuchen, den Förster im Dorf
zu finden. Adieu, Mutter Siegel!»

«Behüte dich Gott, Martin!»

Aber der Bube konnte nicht gehen, das Herz
war ihm weher und schwerer geworden, seit er da
stand. Soviel Sonnenschein, Jugend und Freundschaft
, Lust und Scherz und soviel Liebe waren an
dieses Haus gebunden — und da stand er auf einmal
so leer. Es befiel ihn weh, daß man all das
vielleicht so rasch verlieren könnte, und daß

nichts als die Erinnerung davon bleiben würde.
Er ließ die Arme mutlos herabsinken, atmete ein
um das andere Mal tief auf und sagte dann:

«Mama Siegel!»

«Was meinst du, Martin?»

«Ich kann nicht so von hier fort, ich habe das
Herz voll, es ist so einsam hier, und doch stehen
überall Erinnerungen.»

«Es ist halt so, Bub.»

«Wie geht es Jeanne?»

«Sie ist gesund.»

«Und Theo, der Student?»

«Er arbeitet.»

«Wie geht es Georg, dem Soldaten?»

Da sagte die Försterin nichts, aber sie atmete
tief auf, und es stiegen ihr Tränen in die Augen:
«Ich weiß es nicht, Martin. Wißt ihr Neues von
Franz, sie sind ja im gleichen Regiment?»

«Seit vierzehn Tagen haben wir von Franz auch
keine Nachricht.»

«Behüte sie beide Gott; dieser Krieg ist schrecklich
. Da zieht man Kinder auf und nachher... ach
Gott, ich will nicht darüber nachgrübeln; manchmal
möchte ich am liebsten gestorben sein.»

Wieder schwiegen beide und schauten vor sich
hin. Dann brach die Försterin ihre Äpfel weiter.

«So will ich halt gehen.»

Hansmännel kehrte sich ab und tappte davon,
noch nie waren ihm Weg und Wiese so weltfern
vorgekommen. Grau stand der Himmel über Flur
und Wald, die Blätter fielen müde und nebelfeucht.
Manche Büsche überrann ein schmutziges Rot —
Martin dachte an Blut, an blutende Soldaten
irgendwo auf einem Schlachtfeld. Übers Jahr würde
er auch Soldat sein. Wird denn übers Jahr noch
Krieg sein? Dann würde er irgendwo in Rußland,
im Balkan, am Meer unter dem gleichen grauen
Herbsthimmel stehen und er, ... er hätte nicht einmal
jemand, an den er in Liebe denken könnte.
Franz hatte eine Braut, Georg Siegel eine Liebste,
aber er? Dann versuchte er an Jeanne und an
Lucie Munsch zu denken.

So ging er fürbaß. Um diese Jahreszeit nehmen
die Tage schon ab, dazu kommen im Ried die
Abendnebel, die noch früher die Dämmerung hereinbrechen
lassen.

Im Dorf läutete die Abendglocke, als Martin
dem Riedhof zuschritt. Über das Dach stieg der
Rauch des Herdfeuers, aber er wollte nicht aufwärts
, er mischte sich in den Nebel hinein. Im
Hof war es ganz still, nur der starke Duft d:r
Riedblumen, wie er im Spätsommer erst recht vernehmlich
ist, erfüllte die Luft. Martin ging bis an
den Stall — ach, er hatte ja mit dem Förster sich


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