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AUS ALTEN UND NE U E N TAGEN
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Eine vergessene Jünfhundertjahrfeier
GEILER VON KAYSERSBERG
geboren am 16. 3. 1445
Am 16. März 1945 jährte sich zum 500. Male
der Geburtstag des großen Straßburger Münsterpredigers
, Geiler von Kaysersberg. Zu diesem Zeitpunkt
dachte man im Elsaß nicht an Hundertjahrfeiern
, kaum atmete man auf von dem ungeheuren
Druck des Krieges, der auf allen lastete, und ein
Waffenstillstand war noch nicht geschlossen. Ja,
wenige Wochen zuvor schlugen noch die Granaten
, in das Städtchen Kaysersberg ein, und, o Ironie
des Schicksals! zerstörten das Geilerdenkmal von
der Hand des Colmarer Bildhauers Geiß, das erst
im Jahre 193 3 als äußeres Zeichen der Verehrung
des elsässischen Predigers eingeweiht worden war.
Geiler von Kaysersberg wurde ja als «die
schönste Zier Strasbourgs», als «die Posaune der
Straßburger Kirche», als der «vollendetste, der
unbescholtenste Gottesgelehrte» bezeichnet. Sein
Zeitgenosse Sebastian Brant schrieb über ihn die
Verse:
«Er war ein gezierd der geistlichkeit,
Ein Spiegel aller miltikeit,
Ein liebhaber frydens und tugent,
Ein underweiser alter und iugent.»
Er war auch am Vorabend der Reformation «die
Stimme des Rufenden in der Wüste».
Die Familie saß im 14. und 15. Jahrhundert in
der ganzen Kaysersberger Gegend. Er selbst wurde
am 16. März 1445 in Schaffhausen geboren. Kurz
nach der Geburt des Sohnes zog die Familie nach
Ammerschweier, jedoch wenige Jahre später wurde
der Vater, der Notarschreiber war, auf der Jagd
von einem Bären angefallen und tödlich verletzt.
Der junge Johann kam zu seinem Großvater nach
Kaysersberg, wo er seine Jugendjahre verbrachte
und seine erste Schulbildung genoß und wo die
Keime echter und tiefer Religiosität in ihn gelegt
wurden. Dann besuchte er die Universitäten von
Freiburg und Basel, im Jahre 1475 wurde er Priester
aus innerster Neigung, bald darauf Doktor
und Professor (1476). Er wollte als Prediger nach
Würzburg gehen, doch der gelehrte und tiefver-
*anlagte Straßburger Ratsherr Peter Schott bestimmte
ihn, nach Straßburg zu kommen, wo am
Münster eine Predigerstelle gegründet wurde
(1478). Von diesem Zeitpunkt an bis zu seinem
Tode im Jahre 1510 blieb er seinem Predigeramt
mit heiligem Eifer treu, unterbrochen nur von
einigen Reisen, wie 1484 nach dem Süden Frankreichs
, nach Marseille und Lyon oder 148 8 nach
Augsburg.
Geiler war ein großer, starker Mann, das Gesicht
hager mit festgeschnittenen Zügen, ausdrucksvoll
, lebendig, und darin leuchteten zwei
blitzende, sprühende Augen. Eine eigentümliche
Anziehungskraft ging von dieser Persönlichkeit aus,
und bald versammelte der Prediger ganz Straßburg
um seine Kanzel, dieses reichgeschmückte Meisterwerk
von Hans Hammerer, zu dessen Füßen heute
noch Geilers Gebeine der Ewigkeit entgegenharren.
Er war ein einfacher, sittenstrenger Priester, der
nicht auf fetten Pfründen saß, und der seine Worte
mit seinem Leben vollständig in Einklang brachte.
Tiefe Frömmigkeit zeichnete ihn aus, Bescheidenheit
, Strenge gegen sich selbst, dabei auch die aufopferndste
Nächstenliebe. Alle Leute rühmten
seine Mildtätigkeit, und er war der Freund und
Verteidiger der Armen, die ihn immer umgaben.
Er hatte Verständnis für soziale Ungerechtigkeiten
und konnte durch sein Eintreten beim Rat, durch
seinen Einfluß und durch sein unerschrockenes
Auftreten manchen Mißstand abschaffen: er trat
für die verlassenen Gefangenen ein, brachte es
fertig, daß auch den zum Tode Verurteilten die
Sterbesakramente gespendet wurden, er verschaffte
den Ärmsten und Ausgestoßenen, den Aussätzigen
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