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LE MESSAGER DU RHIN
lien und besonders ganz große Margueriten. Blumen
sind immer ein Zeichen von Wohlstand, von Zufriedenheit
und Lebensfreude. Die Dörfer allerdings
gleichen den unserigen nicht. Die Leute sind
redselig, auf Freude und Ruhe gestimmt: «On ne
s'en fait pas!»
In Vire traf ich meinen Freund B... Wir feierten
das Wiedersehen bei einer Flasche guten und spottbilligen
«Cidre bouche». Vire ist ein angenehmes
Städtchen mit sauberen Straßen, einer alten Kirche
und einer fast ganz zerfallenen Ruine. Romantisch
und stimmungsvoll liegt Vire auf einer Art Kegel,
gefiel mir, ich selbst bin ruheloser Wanderer.
Graugrün wie das Meer blickten mich Henriettes
Augen an.
Mit meinem Freunde kam ich unweit von Gran-
ville in ein kleines Fischerdorf. Die Granithäuser
sind niedrig und klein, meist mit Stroh gedeckt. Die
Leute geben sich der Fischerei hin und dem Seegraseinholen
. Bis zu den Knien im Wasser stehend
mähen die Männer den «warech», der dann, in
Netzen gesammelt, in Kähne oder auf zweirädrige
Wagen geladen, ans Ufer geführt und dort zum
Trocknen ausgebreitet wird.
Der Hafen von Le Havre
von drei Seiten vom Tal des Flüßchens gleichen
Namens umgeben.
Am Abend wollten wir einen Cafe trinken. Die
Kellnerin fragte, ob wir zuerst Cidre wünschten.
Ich hatte keine Lust mehr, mein Freund nahm an
und erhielt einen großen Bol mit Cidre. Nachher
kam der Cafe. «Un Calvados, s'il vous plait?»
Mein Freund nahm wieder an, ich mag aber diesen
Schnaps nicht besonders und lehnte ab. Nachher
beim Bezahlen machte der Preis für jeden von uns
beiden je einen Franc. Ich war vielleicht verdutzt
und doch angenehm überrascht: es war wie ein
Hauch der guten alten Zeit, der mich anwehte.
Mit Henriette war ich am Meer, an der normannischen
Küste. Als ich das glänzende, nie ruhende
Meer sah, kam ich natürlich ins Sinnieren und
Träumen. Ein fester Wind zog von Westen her
dem Lande zu. Ich schaute in die rauschenden,
grüngelben Wasser, mein Auge verlor sich weit
draußen in der Unendlichkeit des Horizontes.
Schiffe lagen im Hafen, große und kleine, andere
verschwammen in der Ferne fast mit dem Meer
und dem Himmel, Sirenen stießen ihre dumpfen
Töne aus. Irgendein Sehnen, unklar, unbestimmbar
, durchzog mich. Das Rauschen und Wogen,
das Stürmen und ruhelose Wandern der Wasser
In einem kleinen Segelschiff fuhr ich mit meinem
Freunde, der die Schiffer kannte, zum Seegrasholen
nach den zwanzig Kilometer entfernten
Chausey-Inseln. Der Himmel war stark bewölkt,
und kaum kamen wir aus dem «havre», als auch
schon starke Wogen heranjagten. Graugrün spritzten
die Wasser an das schmale Schiffchen, das mit
allen Segeln im Wind gegen Westen fuhr. Schwaches
Schiffchen: vielleicht zehn Meter lang, während
die Wellen zwei bis vier Meter hoch gingen.
Es war mir nicht so recht gemütlich. Vorsichtigerweise
hatte ich fast nichts gegessen und ließ mich
nun schaukeln. Mein Freund hingegen opferte den
ganzen Inhalt seines Magens den Seegöttern. Und
so tanzten wir über das Meer hin, auf und ab, im
spritzenden Rauschen der Wogen. Mit leisem, bestimmtem
Kommandoton gab der Chef seinen drei
Leuten seine Anweisungen, die Segel strafften sich
im Winde, das Schiff bog sich hart zur Seite. Die
Wellen spritzten herein.
Vor uns erstanden mehr und mehr die Chausey-
Inseln. Zuerst erschienen sie wie ein weites, graues
Eiland, nun aber teilten sie sich. Einzelne Felsenriffe
trennten sich ab, um die das wütende Meer
weißen Gischt verspritzte. Immer mehr Eilande
wurden es, wild zerklüftet, zerrissen, zerhauen
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