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Markgräfler Jahrbuch
4.1962
Seite: 46
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgjb-1962/0047
Abschied von einem Baum

Von Hans Bastanier, Badenweiler.

Über zehn Jahre waren wir gute Nachbarn. Er stand schon lange, als wir
unser Häuschen neben ihm bauten, und gab der ganzen Landschaft eine besondere
Note. Er war ein alter knorriger Apfelbaum, der „Urbaum" der Menschheit
, und hatte wohl schon fünf bis sechs Jahrzehnte auf seinen Jahresringen,
bis wir Nachbarn wurden. Da, wo sich seine vier Hauptäste fächerförmig gabelten
, waren die Eingänge zu einer umfangreichen Nisthöhle geworden, und unten,
an den alten, kräftigen Wurzeln hatte sich im Laufe der Jahre ein Holunderbusch
angesiedelt. Wie oft haben wir und unsere Gäste diese Baum-Persönlichkeit
bewundert und gepriesen, wenn er im Morgennebel filigrahartig und geheimnisvoll
in die stille Luft ragte und den Blick auf unser Häuschen zu einer japanischen
Tuschzeichnung machte oder wenn er in der Abendsonne golden aufglühte und
sich leuchtend gegen den im Dunst verdämmernden Blauen abzeichnete, oder
wenn seine spärlichen und späten Blüten sich gleich einem Perlenschmuck über
seine knorrigen bemoosten Äste legten! Wie haben wir uns an seiner Schönheit
gefreut, wenn der Rauhreif ihn zu einem weißen Korallenbaum werden ließ,
der wie ein Märchenschloß vor dem blauen Winter-Morgenhimmel stand! Immer
war sein Anblick ein ästhetischer Genuß, nie war er „nur ein Apfelbaum" wie
die meisten anderen, deren es Tausende in dieser „himmlischen Landschaft" gibt.

Anfangs wohnten Hornissen in seinen Astlöchern, aber diese Raubritter
wurden bald vom Feldhüter mit Feuer und Schwert ausgerottet, und nicht lange
danach nahm ein Käuzchenpaar die Burg in Besitz — und ist Eigentümer geblieben
bis zu ihrem Ende. Fast täglich haben wir die Käuzchen im Baum
sitzen sehen, wenn sie, eng an einen Stamm gedrückt, sich unsichtbar zu machen
suchten. Das gelang ihnen aber nur selten, denn meist waren sie bald von den
kleinen Vögelchen entdeckt und mußten dann ein Geschrei und Gezeter über
sich ergehen lassen, das sie bald wieder verscheuchte. Eines Tages erlebten wir,
wie ein uns befreundeter junger Vogelkundiger eines der Käuzchen in einem
feinen Nylonnetz fing und beringte. Nun hatte es seine Erkennungsmarke und
war sozusagen erst amtlich vorhanden und hatte seine Karteikarte in der Vogelwarte
Radolfzell.

Ob es sich wohl nach Kinderart sehr über seinen glänzenden Ring gefreut
und zu seinen Artgenossen gesagt hat: „Ätsch! Ich hab' 'nen Ring und du hast
keinen!" Dabei hatten wir Gelegenheit, die Schönheit und Würde dieses kleinen
Vogels zu bewundern, der, als er einmal gefangen war, ganz still in der für-
sorlichen Hand des Ornithologen lag und ihm, ohne zu strampeln oder zu
schreien, mit seinen großen goldenen Eulenaugen unverwandt anschaute. So ein
Käuzchen ist eben doch nicht umsonst der Vogel der Pallas Athene, der Göttin
der Weisheit!

Sein sammetweiches Flaumgefieder war eine wundervolle Harmonie von
braunen und grauen Tönen, die das Tierchen in der freien Landschaft fast
unsichtbar machen. Als dann die ganze Beringung in wenigen Sekunden beendet
war, öffnete sich die Hand des Menschen, und der kleine Vogel flog in
weichem Flügelschwung in die gewohnte Freiheit zurück.

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