Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,eg
Markgräfler Jahrbuch
4.1962
Seite: 48
(PDF, 21 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgjb-1962/0049
registrierten Bürgerrecht! Eines Tages würden Menschen kommen und unserem
Baum die Axt an die Wurzel legen. — „Denkste!" würde man da nur nach
alter Berliner Art sagen können. Denn auch diese überkommene, fast möchte
man sagen ehrfurchtsvolle Art des Baumfällens ist im modernen Straßenbau
längst überholt!

Warnen konnte man die Käuzchen ja leider nicht. So konnten wir nur unseren
Ornithologen bitten, doch noch einmal nachzuschauen, ob vielleicht junge
Vögel in der Nisthöhle waren, die man anderswo hätte unterbringen können.
Aber siehe da, das Nest war leer! Käuzchens hatten den Platz vorsorglich
geräumt. Und wenn nicht alles täuscht, dann haben wir sie einige Tage vor
dem endgültigen Ende abends noch mit Jungen im benachbarten Obstgarten
rufen hören. Da soll mir noch einer sagen, daß Tiere nicht sechs oder noch
mehr Sinne haben, die sie ahnen lassen, was ihnen droht. Unsere Käuzchen
haben jedenfalls diesen Ahnungssinn gehabt und sind leichtbeschwingt dem ihnen
von den Menschen zugedachten Schicksal entgangen. Möge dieser Ahnungssinn
ihnen zeitlebens treu bleiben!

Wer weiß, vielleicht hat auch der alte Baum geahnt, daß dies sein letzter
Frühling sein würde. Er hat so reich und voll geblüht wie schon lange nicht
mehr. Er hat wohl alle Kraft seiner sechzig oder siebzig Jahre zusammengenommen
zu einem ergreifend schönen Abschiedsgruß.

Eines Tages rollten die wie Saurier der Vorzeit anmutenden Roboter-Straßenbaumaschinen
an und warfen rechts und links auf der Spur der neuen Straße
hohe Wälle der Muttererde auf. Nun stand der alte Baum aus seiner natürlichen
Umgebung herausgeschält auf einer winzigen grünen Insel — und wirklich
im Wege. Ein kurzer Anlauf des roten Tankungeheuers — ein seufzendes
Schwanken des vierfach gegabelten Stammes, dann ein verstärkter Stoß des
Tanks, der seine dicke stählerne Pflugschar wie einen Rammbock erhoben hatte,
und krachend, wie von einem unsichtbaren Blitz getroffen, brach die ganze
siebzigjährige Wunderwelt in sich zusammen.

Ich stand stumm und ergriffen vor diesem Ende einer ehrwürdigen, alten
Welt, die vor langer Zeit einmal aus einem winzigen Apfelkern entstanden
war, und das Psalm wort ging mir durch den Sinn: „ . . . ist in seinem Leben
wie Gras, er blühet wie eine Blume auf dem Felde. Wenn der Wind darüber
geht, ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennet sie nicht mehr."

Die Umwelt, unsere kleine Welt, in der wir über zehn Jahre als gute Nachbarn
miteinander gelebt hatten, war verändert, war um einen Akkord ärmer,
um eine Form leerer geworden durch den Abschied von dem alten Apfelbaum.

Doch horch! Was klingt da leise aus der Ferne herüber? Das Käuzchen ruft:
Kuwitt — Kuwitt — Kuwitt . . . Das Leben geht doch weiter!

48


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgjb-1962/0049