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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1954-02/0020
und Dinge, mit denen ich schmollen will!" Aber der Vierundsechzigjährige
fühlte, daß er der jungen Generation, die jetzt das Ruder führte, in Denken,
Empfinden und Wollen zu fern stand, als daß er ihr mit Rat hätte zur Seite
stehen können. Und so zog er sich im Sommer auf seinen schönen Besitz Schloß
Ehnerfahrnau bei Schopfheim zurück und im Winter auf den Bergsitz des
Segenhauses der Fürsten von Wied mit der Aussicht auf Rhein, Eifel und
Westerwald. Er unterhielt regen schriftlichen und persönlichen Verkehr mit der
Familie und wenigen ihm gleichgesinnten Freunden, half ihnen und vielen Notleidenden
, die Rat und Tat von ihm begehrten, mit gütigem Herzen und verfolgte
die Ereignisse der bunten Welt mit lebhafter Teilnahme bis in sein hohes
Alter hinein. „Wohl dem, der im Verborgenen lebt!" — „Bene vixit, qui bene
latuit" — das wurde sein Wahlspruch. „Den von der Welt Zurückgezogenen
sind verheißen Geringschätzung der ehrgeizigen Kämpfe der Welt, Genuß an
der Natur und enges Zusammenleben mit wenigen Freunden" — diese Zeilen
aus einem Brief an seinen Freund Stosch vom Dezember 1890 kennzeichnen die
Lebensauffassung des Alternden ebenso wie das für sein ganzes Leben geltende
Wort vom 12. April 1905: „Das Leben des Einzelnen hat nur Wert, wenn es
im Dienste der Nebenmenschen nützlich verwendet wird." Einst hatte er dem
deutschen Volk in seiner Gesamtheit in echter Vaterlandsliebe nützen wollen;
jetzt konnte er nur noch wenigen Nebenmenschen hilfreich zur Seite stehen.
Von seinen fürstlichen Freunden und Gönnern überlebten ihn nur der Großherzog
und die Großherzogin, die ihn, so oft sie konnten, in ihren Kreis am
Bodensee oder auf den Höhen des Schwarzwaldes zogen und ihm durch ihr
Vertrauen das dankten, was er einst für Baden und Deutschland geleistet hatte.

Roggenbachs Stellung zu der Politik des Reiches um die Jahrhundertwende
war durch die Grundsätze, die er stets vertreten hatte, gegeben. Bis zuletzt
bekannte er sich als Liberalen; er blieb Freihändler und wollte nur Finanz-,
nicht Schutzzölle zulassen. Die Aufrechterhaltung eines starken Heeres erschien
ihm notwendig zum Schutze des Reiches. Für die Flotte wünschte er, daß dasjenige
reichlich und ohne Markten bewilligt würde, was zum Schutze der
aktuellen nationalen Interessen notwendig war. Da aber das deutsche Volk
ein nützliches Glied der Völkerfamilie sein sollte, mißbilligte er die Provozierung
anderer Nationen, die Einmischung in Händel, die Deutschland nicht berührten
, und die „Schwindelpolitik" der „Weltmachtphantasten". Eine Politik,
die abwechselnd Friedensschalmeien und Weltposaunenstöße erklingen ließ, galt
ihm als ganz und gar verfehlt. Er wünschte keine Allianz mit England, da diese
natürlich nicht umsonst zu haben sei, aber ebensowenig die Umwerbung Rußlands
. Er wollte nicht, daß Deutschland sich vor der Zeit binde, damit es
möglichst lange der freie Herr seiner Entschlüsse bliebe. Ein Bündnis mit
Österreich, das er schon als badischer Minister als erstrebenswert bezeichnet
hatte, entsprach dagegen ganz seinen Wünschen. Auf Italiens Beitritt zum Bund
legte er mit Recht wenig Wert.

Nach seiner Ansicht wird der Staatsmann nur nach dem Erfolg beurteilt,
der aber seinem Wirken versagt geblieben war. So schrieb er im Oktober 1904:
„Ich habe im besten Falle von einem mehr oder weniger günstigen Parterresitz
aus dem wechselnden Schaustück meiner Zeit und ihrer Begebenheiten zugesehen
und nur ganz wenig in dieselben mit handelndem Einfluß eingegriffen.
Keineswegs bin ich der Versuchung ausgesetzt, letzteren zu überschätzen und
ihm die geringste Wichtigkeit beizulegen." Franz von Roggenbach war überzeugt
, daß das deutsche Volk seine Grundfehler nur ganz allmählich ablegen
werde: mangelnden Rechtssinn und die Gefügigkeit, mit der der Deutsche sich
zum Werkzeug von Gewalt gegen seine Mitbürger hergebe, wenn sie anderer

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