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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
33.1971, Heft 3.1971
Seite: 154
(PDF, 13 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1971-03/0048
öffnet sich das Kleine Wiesental zwischen Scheinberg und Entegast, dem Einheimischen
Sinnbild der von Schönheit gesegneten Heimat, dem Fremden ein Landschaftsaquarell
, dessen Zauber kein Dia wiederzugeben vermag, weil das Wirkliche
unsichtbar ist. Es wäre mit aller Vorsicht lieblich zu nennen, wenn nicht auch dies
Wort verbraucht und mit der Romantik gewichen wäre.

Gewiß weben die Träume am Heimweh nach der guten, alten Zeit, bieten sie
noch immer Bergung und Geborgenheit im milden Spiel der Schwellungen und Aufschwünge
, im von Stunde zu Stunde wechselnden Farbengebräu und Formenzauber,
in der Stille, die von den Gipfeln herunterströmt; aber ziehen sie den Menschen noch
in den Bann der Erde, noch in den irrlichternden Tanz der Nixen und Elfen, die
gerade hier wie nirgends sonst die Nächte beleben könnten? Wenn sie im silbergrauen
Wiesennebel, den man in Norddeutschland Fuchsbrau nennt, heranschwir-
ren, sieht sie niemand mehr. Der Mensch ist blind und taub geworden für das Heimliche
, das besonders die gesegnete, die schöne, entrückende Landschaft sucht, abgeschnitten
von seinem Raunen und Rauschen, von den Tiefen, die sich nur dem
Ruhenden erschließen.

Dies aber ermißt er noch: daß die Berge hier die Ebene suchen und abfallen,
um auszuruhen im Atem des Tales. Er selbst fühlt sich kaum noch einverwoben,
nicht klein und unvollkommen, sondern als Herr der Landschaft. Dies trennt ihn
von ihr, obwohl er noch immer erschauert vor den Erregungen der Frühe, in denen
die Erde aufbrach, die Ebene sich steil zum Himmel stellte und die Höhe den Aufblick
erzwang oder herausforderte. Wir wissen nicht, was geschehen wäre, wenn es
diesen Aufstand des Inneren gegen das Außere nicht gegeben hätte, aber wir wissen,
daß der Blick auf die Höhe, den Gipfel, daß die Wanderung zu ihm den Menschen
immer auch mit der Sehnsucht nach der Höhe erfüllt hat und sie selbst noch seinen
Alltag berührt, mag auch der Skiläufer nur den Sport, die körperliche Betätigung
und den Wettkampf im Auge haben.

In solcher Landschaft also ist Maulburg, das früher einmal Murperg hieß, eingebettet
, und in ihr wurden seine beiden größten Söhne, die beiden Brüder Hermann
Burte-Strübe und Professor Adolf Strübe geboren, der eine zum Dichten und
Malen, der andere zum Malen, beide zum Schauen, dem sich die Hintergründe der
Welt enthüllen, beide mit Händen begabt, die das Geschaute umsetzten in erhöhte
Gestalt, die die Bilder der Welt verwandelten in Bilder der Seele und die Heimat
in den Rang der Welt erhoben.

Wie war doch die erste Begegnung mit dem Dichter im Flachsländer Hof? Die
Bilder, die an den Wänden hingen, fesselten mich vom ersten Augenblick an durch
den Einklang von Kraft und Zartheit, durch die genaue Beobachtung der Natur,
die vom Geist dieses Malers durchsichtig, transparent gemacht worden war, und
durch die herrlich klingenden Farbharmonien. Er selbst saß hinter dem großen,
schweren Eichenschreibtisch, blickte mich mit seinen, wie aus der Urzeit heraufschauenden
, Leben und Geist zusammenschweißenden Augen an und erzählte mir,
daß er sich Hebbel, Theodor Storm und Klaus Groth verwandt fühle, in ihnen
Brüder sehe. Und dann: „Sie sprechen plattdeutsch?" — „Ja!" — „Dann müssen
Sie mir Klaus Groth vorlesen!" Burte erhob sich, ging ans große Regal, suchte einen
Augenblick, in dem ich seine schwere Gestalt beobachten konnte, und zog den
„Quickborn" heraus. Daraus las ich ihm „Min Jehann" vor, ein Gedicht, das mir
wegen der Tiefe und Aufrichtigkeit seines schlichten Ausdrucks immer zu den liebsten
gehört hat.

Vor dem großen Alemannen erklang mir meine Heimatsprache, die so wenig
wie das Alemannische bloß ein Dialekt ist, völlig neu, und Hermann Burte bat mich,
mehr zu lesen, und hörte mit anregender Aufmerksamkeit zu, als ich „Matten Has"
und „Min Port", das schöne Gedicht mit dem zarten Ewigkeitshauch, las. Diese
plattdeutschen Gedichte waren das Präludium zu einem lebhaften Gespräch, während
dessen ich seine Hände beobachtete und zu begreifen glaubte, daß dieser Mann
gleichzeitig Dichter und Maler sein mußte. Seine Hand war selber Form, schien die

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