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an die Straß, so nach Tegernau gehet und nitsich an Bach" usf. Kein Zweifel, der
Bach ist die heutige Kleine Wiese, die zu ihrer etymologischen Namensdeutung
etliche Historiker in der Vergangenheit dazu verleitete, den Namen der Frau
Bächin, den Kelten zuzuschustern, die vereinzelt in diesen rauhen Schwarzwaldtälern
gelebt und Flüsse und Berge getauft haben sollen.
Der Laie staunt, der Fachmann wundert sich: die alemannischen Väter im
Sprachraum des Belchens scheinen ihre „keltische Kostbarkeit" überhaupt nicht gewürdigt
zu haben, heiß und innig verprügelten sich „Mathiß und Friedlin beim
Flößen im Bach", der zweijährige Hansli von Bürchau „ertrank im Bach", temperamentvoll
warf der liebeswehe Vollmer den Nebenbuhler „in Bach" und 1773
wußten die Neuen weger von einem Grubengebäude „am Spitzberg unten über
dem Bach". Die Kleine Wiese verdankt demzufolge ihren amtlichen Steckbrief
nicht den Wegbegleitern durch die Kinderjahre, die in ihr den munteren, für alle
Zwecke geeigneten Belchenbuben sahen, sondern den Tegernauern, die 1770 vom
Wiesenfluß sprachen, der in einen „reißenden Strom wächst, wann er unter der
Langenau in die Wiese fällt, die von Hausen kommt".
Auch die heutige Landschaftsbezeichnung „Kleines Wiesental" dürfte in Anlehnung
an das große Geschwisterkind im Süden entstanden sein, denn 1770
spricht die Obrigkeit mit Hinweis auf die Dörfer Ober- und Niedertegernau: „Die
Gräntzen dieser Orte sind Wiesleth vorwärts gegen das eigentliche, sogenannte
Wiesental" und „das Tal, in welchem sie liegen, ist gar viel enger als das sogenannte
Wiesental, weil die vielen und hohen Berge, in welchen sie fast eingeschlossen sind,
ihnen gar nahe liegen". Die alten Markgrafen kannten ebenfalls kein „Kleines
Wiesental", sondern sprachen von „der Waldvogtei Tegernau, so in unserem Oberamt
Rötteln gelegen", und die Nachbarn in und um Schopfheim meinten mit dem
launigen, mündlich überlieferten „Horiwälder" (haariger Wälder) treffsicher den
Bewohner des genannten Schwarzwaldtales. Die Vogtei Tegernau umfaßte im
16. Jahrhundert verwaltungsmäßig vier Fünftel des Tales. Ausnahmen bildeten
Wieslet mit seinen Weilern, das gleich Salineck, Oberhäusern und Demberg vogtei-
rechtlich an Weitenau gebunden war, dann das Dorf Ried, das seit eh und je zur
Grundherrschaft St. Blasien gehörte, und Neuenweg, das 1514 bereits als selbständige
Vogtei zeichnete und gleich Tegernau dem Markgrafen als alleinigem Gebieter
huldigte. Wenn heute in der Aktualität des Geschehens die „Verwaltungsgemeinschaft
Kleines Wiesental" mit dem zentralen Mittelpunkt Tegernau angestrebt
wird, darf leise lächelnd auf das „alles schon einmal dagewesen" verwiesen
werden.
Das heutige Kleine Wiesental kennt keine Genealogie, die sich in grauer Vorzeit
verliert. Greifbar rückt der urwaldähnliche Charakter der Landschaft ins
geistige Blickfeld, der mit dem lebensmutigen Menschen vor eintausend Jahren
Wandlung und Zähmung erfuhr. — Tausend Jahre, eine Zahl, die ehrfurchtheischend
Achtung gebietet und dennoch die fetten Nullen dividierend durch Werden
und Vergehen auf 40 Menschengenerationen zusammenschrumpfen läßt.
Schemenhaft treten die ersten Zwanzig in der ehernen Kette aus dem Dunkel der
Wälder, namenlose bärtige Gesichter wetterleuchten im Blitzen der Äxte, schwielige
Hände weisen zeichnend und prägend den Blick in die Landschaft von heute.
Der Enkel setzte fort, was der Urahn geschaffen, und seine Kindeskinder zollten
dem gültigen Gesetz vom Geben und Nehmen im Kreislauf des Seins tätigen Respekt
. Kampf und Härte bestimmte ihr Schicksal, kraftvolle Menschen rangen mit
den Kräften des Waldes, und „hart", das mittelhochdeutsche Wort für Wald, hat
seine Ausdrucksfähigkeit überliefert. Fleiß und Schweiß unserer Altvorderen bildeten
den Humus für die anfänglichen Siedlungen, die blühend zu lebensvollen Dörfern
im Schatten des von Menschenhand zurückgedrängten Waldes heranwuchsen.
Bergmatten und Felder auf altem Waldboden verdanken ihre Existenz der Zähigkeit
und Ausdauer jener, die vor uns — aber für uns — nach der alten Weisheit
„viel Steine gabs und wenig Brot" ihre Lebenskraft im Lebenskampf verzehrten.
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