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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
34.1972, Heft 1/2.1972
Seite: 47
(PDF, 23 MB)
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Es besteht weder Grund zur Annahme, daß 4 bis 5 Jahrhunderte früher die
Erde steinlos und feinsandig gewesen wäre, noch daß Petrus, der Herr über Sonne
und Regen, aus besonderer Gnade und Fürsorge den Alemannen des Kleinen Wiesentales
den Nebel erlassen und ihnen aus Milde und Nachsicht die Schneeflocken
im Eisschrank der Zeiten konserviert hätte, um spätere Generationen damit zu beschenken
.

Von den ersten zwanzig Generationen wissen wir zu wenig, um schlüssige
Beweise für die landwirtschaftliche Nutzung der gerodeten Flächen zu liefern.
Man kann nur unter Berücksichtigung der landschaftlichen und klimatischen Verhältnisse
vermuten und die Tegernauer Vögte hilfestellend vom Kirchhof der
Vergänglichkeit heranziehen. Sie sagen uns aktenkundig, daß auf dem Land der
Vorväter das Recht der Heuzehntfreiheit ruhte; folglich waren die waldfreien
Flächen Grasland, was schlußfolgernd Viehwirtschaft bedeutet. Sie bekräftigen
dies, indem sie sagen: „In alter Zeit hat man sich von Holz und Kohlen die Früchte
gekauft und die Matten zu Heu liegen lassen". Es soll nicht ausschließen, daß kein
Ackerbau getrieben wurde, aber im Verhältnis zum Bedürfnis verschwindend
wenig, was auch die alte Pfarrkompetenz von 1583, die dem geistlichen Herrn
von Tegernau den zehnten Teil seiner Frucht sicherte, zeigt.

Das Landschaftsbild, das sich in den ersten 600 Jahren vom Wald zum Wald-
Weideland verschob, bekam durch den

Dreißigjährigen Krieg

erstmals den großen Riß und veränderte es wieder zurück in die Urkraft Wald.
„Das Land ist zur Helfte verödet und verhurstet", so wissen es die Erben, die zwei
Generationen später tätig der Macht des Waldes entgegentreten. Wenngleich aller-
ortens ersterer Aussage „und die Leute sind gestorben und verdorben" hinzugefügt
wird, mag es für manche Gebiete zutreffen, für das Gebiet des Kleinen
Wiesentals jedoch nicht. Durch die Verkartung der Kirchenbücher des Kirchspiels
Neuenweg (1639—1970), das durch die Akten der rauhesten aller rauhen Waldorte
geistert und das Bürchau als Kirchspielort miteinbezieht, kann einwandfrei
nachgewiesen werden, daß zu keiner Zeit so viele alte Menschen wie nach dem
sogenannten „großen Krieg" ihr müdes Haupt zum Sterben niederlegten, deren
Lebensalter aufhorchen läßt. Wahre Patriarchen treten uns zwischen achtzig und
neunzig Jahren entgegen, wenn sie von dieser Welt abschiednehmend ihren letzten
Gruß im Todeseintrag hinterließen. 1649 starb in Neuenweg die Hebamme mit
93 Jahren, 1669 wurde ein 94jähriges und 1673 ein 91 jähriges Menschenleben zur
Ruhe gebettet, am 30. Mai 1682 beschritt die von Ried gebürtige Witwe Anna,
nachdem sie wacker in ihren 96 Lebenswintern vier Ehemänner der Erde übergeben
hatte, den Pfad, auf dem möglicherweise der fünfte harrte, und 1681 überrundete
die in Neuenweg verheiratete, von Elbenschwand stammende Frau Barbara mit
103 Lebensjahren die Altersjubilare im beispielhaften Reigen der Lebenskünstler.
Sie alle sind nicht im 30jährigen Krieg gestorben und verdorben, sondern konnten
ihren Kindeskindern mündlich übermitteln, was sie von den Vorvätern wußten.
An Nachkommen fehlte es nicht. So nannte z. B. der Wirt von Neuenweg, als er
1702 im 94. Lebensjahr starb, insgesamt 132 Nachkommen (Kinder, Enkel und
Urenkel) sein eigen „und hat sie alle gesehen", oder der lendenstarke Christian,
der 5 Jahre vor dem Prager Fenstersturz in Heubronn geboren wurde, zeugte
18 Kinder und begleitete sie bis in sein 82. Lebensjahr. Obwohl auf der Flucht im
März 1643 insgesamt 20 Menschen starben, stehen in den 10 Kriegsjahren von
1639 bis 1649 den Todesfällen im Kirchspiel Neuenweg-Bürchau (einschließlich der
Toten von 1643), die sich zusammen auf 52 belaufen, 103 Geburten gegenüber. —
Neuenweg wurde gleich den übrigen Dörfern des Tales vom Kriegsgeschehen er-

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