http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1973-03-04/0039
Blum von Efringen, der bis dahin standhaft neben mir ausgehalten hatte, meinte:
„Jetzt hat es keinen Zweck mehr. Möglicherweise kann man sich noch retten, im
anderen Falle ist der Tod uns sicher." Ich kannte in Staufen keinen Weg und
keinen Steg. Alle Häuser waren verschlossen, die Laden zugemacht, so drückte ich
mich hart an der Mauer der Häuser vorbei, in der einen Hand meine Büchse, mit
der anderen die Flügel des Rockes zusammenhaltend, zurück, bis endlich eine
Seitenstraße sich hinter mir auftat und damit auch ein offenes Haus, an dem
weder Thür noch Fenster geschlossen und das unbewohnt war. Ich stieg in das
Haus bis unter das Dach empor, aber nirgends einen Winkel erblickend, der mir
hätte Schutz gewähren können. Da entdeckte ich am Giebel eine Öffnung, durch
die kroch ich und kam ins andere Haus und zu einer Gesellschaft von zwölf Versprengten
, die sich schon vorher dahin gerettet hatten. Gleich darauf kam ein
Mann von der Seite des leeren Hauses und nagelte ein Brett vor das Loch, durch
das ich geschloffen war und die anderen auch, zu unserem Glück. (Das Haus, in
dem wir geborgen waren, war das Haus des Gerbermeisters Stoll, unser Retter
ein Gerbergeselle aus Hornberg.) Nun hieß es Ruhe halten, ich war der einzige
Bewaffnete, die anderen hatten ihre Waffen weggeworfen. Wir lüfteten die Ziegel,
um unter denselben hervor auf die Straße sehen zu können. Man konnte genau
auf das Rathaus sehen und auf den Brunnen vor demselben. Hinter diesen Brunnen
hatten sich noch etwa ein halbes Dutzend retirirt, die sich nicht hervorwagen
konnten, weil sie sonst unfehlbar von den Kartätschen getötet worden wären. In
einer Türnische hatte sich ein kleiner Tambour mit seiner Trommel geflüchtet, der
in dem Moment von einem Kartätschenschuß getötet wurde, als er sich zu weit
hervorließ, um denen hinter dem Brunnen ein Zeichen zu geben. Er hat mich in der
Seele gedauert, der arme Teufel. Es war nachmittags halb vier Uhr, als ein Hauptmann
über die abgedeckte Brücke kam, hinter ihm eine ganze Abteilung Soldaten.
Es wurde sofort das Standrecht verkündet und den Leuten befohlen, Türen, Laden
und Fenster zu öffnen: „Wer Freischaren im Hause beherbergt, ohne es anzuzeigen
, wird erschossen." Trotz dieser strammen Maßregel wurde nicht ein einziger
Freischärler von den Staufener ausgeliefert, obgleich viele in Staufen noch versteckt
waren. Besonders roh und polternd benahmen sich die Dragoner, von denen
ich nicht gehört habe, daß sie sich während des Gefechtes besonders tapfer gehalten
hätten.
Die Häuser wurden von den Soldaten durchsucht, so kamen Dragoner in dem
leeren Hause nebenan bis an das Loch, das kurz vorher zugenagelt worden, und
meinten: „Da ist nichts".
Daß wir nicht entdeckt wurden, ist ein wahres Wunder.
Das bittere Ende.
Ich hatte Hunger und Durst. Seit dem Frühstück in Müllheim morgens vier
Uhr hatte ich nichts mehr genossen, ich machte mich deshalb vorsichtig auf die Suche
vor allen Dingen nach Wasser. Nachdem ich einige schmale Treppen abgestiegen war,
kam ich in eine Küche, in derselben stund der Mann und seine Frau. Er herrschte
mich sofort an: „Was wollen Sie, gehen Sie fort! Wir dürfen niemand im Hause
haben, sonst werden wir erschossen. Gehen Sie um Gotteswillen fort!" „Zuerst
muß ich Wasser haben, sonst verschmachte ich." Die Frau wies mit der Hand auf
einen Ständer mit Wasser und eine Schapfe: „Da trinken Sie und dann gehen Sie
wieder, wo Sie hergekommen sind. Jeden Augenblick können Soldaten kommen,
und wenn diese Sie antreffen, sind Sie verloren, und wir damit." So stieg ich denn
wieder empor in die Dachkammer zu den anderen Leidensgefährten.
Der Boden dieser Dachkammer war mit trockenem Leimleder gefüllt, das ich
links und rechts beiseite schob, um eine Lagerstätte zu erhalten. Dann nahm ich
meinen Tornister unter den Kopf als Kissen, die Büchse in den Arm und legte
145
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1973-03-04/0039