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nicht stehen geblieben ist. Da ist nichts mehr vom ländlichen Idyll, vom saatauswerfenden
Landmann, von einer lieblichen und lichten Welt. Es geht schwer, fast hart zu in diesem
Jungschen Buch. Nur selten sind gewohntere Töne zu hören, etwa, wenn „De Auerhahn
balzt", „Brunne ruusche" und „singe vu deheim", „Chriesibäum blüehie" oder wenn
„E Chäferli im Garte" rennt.
Im übrigen aber wird gedacht, gegrübelt und gefragt, immer wieder gefragt nach den
letzten Dingen. Gewissermaßen als Introduktion stehen drei Sonette „Wo ane gotisch?"
Mit der Wahl dieser Gedichtform bekundet Jung gleich zu Anfang seine Forderung zu
Strenge und Ordnung. Das Sonett ist für den Dichter eine der zuchtvollsten Versformen.
Jung beherrscht die Gesetzmäßigkeiten des Sonettes und stellt es uns in einer unverbildeten
Mundart hin. Auch die Denkweise ist dialektbezogen und doch vom ganz Allgemeinen
handelnd: Weltraumflug, Vergiftung von Flur und Kreatur, ewiger Fortschrittsgedanke,
von dem wir vergebens unser Heil erwarten. Die drei Sentenzen in den Schlußzeilen:
„Unheimli würd s, wo nüt mehr heimlich isch"; „Der letschti Sinn vum Goh isch wider
s Bliibe"; „Un ob si recht isch (deine Zeit), muesch di selber froge" stehen deutlich als Ergebnis
des Vorhergesagten.
Der erste Abschnitt des Buches steht unter dem Begriff Angst. Gleich in den ersten
acht Zeilen wird uns in knappen Zügen ein Bild vor Augen gestellt, das aus einem Forschungsergebnis
unserer Tage stammt: Das All, die Welt entstand aus dem „Urknall", aus
dem Feuer also. Der Dichter frägt die Welt, die er als (Lebe-)Wesen sieht: „Wie bisch du?
nackend, um das Leben geprellt wie ein gefrorenes Feuer..."; denn ein Feuer, das glühende
Sonnen- und Sternenheer, erkaltet, ist ,gefroren', lebt also nicht mehr, ist ums
Leben geprellt. Diese moderne Erkentnis der Schöpfungsgeschichte ist in acht Kurzversen
alemannisch treffend ausgesagt, wobei wir das hochdeutsche Reimwort „prellt" (geprellt)
hinzunehmen haben. Was nun folgt, ist eine Vision nach der anderen, ein Bild ums andere,
alles erzeugt aus der Angst des nackt und schutzlos geborenen schuldbeladenen Menschen,
die Angst um das Ausgeliefertsein in dieser gefahrvollen Welt. Dieses Grübeln und immer
wiederkehrende Fragen sind als ein typischer Zug des Alemannen bekannt. In allen Buchabschnitten
erscheinen aus solchen Fragen bedrängende Nachtgesichte mit dem bohrenden
„worum?", „worum?".
Doch Jung bleibt nicht in dieser Angst verhaftet. Er führt den Leser über Hoffnung,
Vertrauen und Trost bis zur Freude. „Wenn de an die selber glausch un an De (an Den),
wo drüber wacht", sagt er uns aus gläubigem Herzen heraus. Dieses Gottvertrauen — wer
wollte es uns Heutigen verwehren — steht oft auch als ein Tragendes zwischen den Zeilen.
Am sogenannten „Modernen", von dem der Dichter jetzt auch beeinflußt ist und in
welchem ihm andere vorausgegangen waren (aus dem Badischen: Baum, Kurrus, Epple;
aus der Schweiz: Marti, Eggimann und andere), arbeitet Jung auf seine eigene Weise.
„Mensche in der Stadt" besteht nur aus Stichwörtern oder dahingesagten Satzteilen und ist
dennoch eine glühende, jedem verständliche Anklage gegen Mißstände wie Verkehr, Fernsehüberbenutzung
, Tanz ums Goldene Kalb und so fort. Eine ähnlich gesetzte Kurzschrift,
dazu in einer eigenen lyrischen Aussage, findet sich im Gedicht „Z Obe", das unser Leben
als Ernte, Geburt, Feier und Tod, unser Dasein letztlich als „bitter Brot" aufzeigt. Zum
„Brot" als einem Gleichnis unseres Seins findet er übrigens immer wieder: „Nume wenn
de gmahle bisch . . . no gisch Mehl un Teig un Brot". Ähnlich verwendet er den „Fade",
in welchem er das Leben sieht, wie es von Gott gewoben wird „hi un her" mit „Schlick
un Schlürke drin".
Allgemein gesehen, ist Jung, was das Formale betrifft, noch ziemlich dem Alten verpflichtet
. Kaum daß er da und dort einmal den Reim ganz aufgäbe. Und dennoch zeigen
sich auch bei ihm neue Wege, wenn er auf Strophenformen verzichtet oder den daktylischen
Vers anwendet. Daß ein alemannisches Gedicht urchig und echt sein kann, auch wenn
in ihm absolut keine Reime erklingen, beweist er mit dem herrlichen Gedicht „Schwarzwälder
Speck", das er in festgefügten Trochäen gesetzt hat. Als ein Volkslied möchte
man „Lob un Lache" gesungen hören. Einen rein lyrischen Ton schlägt Jung an in „De
Mond schwimmt über s Hörnli".
Die Schreibweise ist im großen und ganzen diejenige von Hebel: sie ist lesbar, weil
dem hochdeutschen Schriftbild angepaßt, und dennoch imstande Unterscheidungen der
verschiedenen Dialekte zu kennzeidinen. (In Zell, der Heimat des Dichters, sagt man:
hät = hat, het = hätte, de = der, gliichis = gleiches, sin Tod = sein Tod u. a.).
Besonders muß erwähnt werden, daß dem Dichter gelungen ist, manches Hapax
legomenon, manches Neuwort, zu bilden, so „Beinertrog", „zitronefalterig", „Flimmer-
schibe", „Lustkonserve". Und wie treffend steht „Herzwandrunzle" für das allbekannte
,Infarkt'.
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