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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1975-01-02/0095
Brunnen „im Wald tief inn", aus dem niemand trinkt. Denn um Mitternacht
kommt ein Weib an den Trog, „ne bleichi Nunne", und wäscht „am Herz e
Wunde":

Der Wald verstuunt, d Farrchrüter stöhn verstört,
un s duurt bis gege Tag drei volli Stunde,
bis me s erst Vögeli wieder zwitschere hört. —

Um „S Annechätters Brünneli" in dem Gedicht von Lina Kromer spinnt sich
die Sage von der unglücklichen Müllerstochter. Das Brünnlein, bei dem verschwundenen
Gorgendorf bei Obereggenen, verborgen unter wilden Rosen, wurde
gemieden. Keiner durfte von den Rosen brechen, noch weniger vom Wasser
trinken, weil ein Fluch auf dem Brunnen lag. Vor langer Zeit hatte dort eine
Mühle gestanden, in der die schöne und stolze Müllerstochter lebte, die ungewöhnlich
begabt war. Als sie manche Freier abgewiesen hatte, richtete sich deren
Zorn und Haß gegen das Mädchen. Es wurde beschimpft und wegen ihrem Wissen
und stolzem Wesen geschmäht, es stecke mit dem Teufel im Bund und verbreite
Krankheiten. Lina Kromer hat diese Sage vertieft und verschönt und sagt weiter
in ihrem Gedicht:

— D Lüt speue Gift un Galle
wies d Müllerstochter dribt —
si stelle heimli Falle

der Hex, wo liest un schribt.
Un isch erseht s Annechätter
uf ihrem Roß umtwegs,
so heißts: jetz macht si s Wetter
mit eim, die Deufelshex. —

Eines Tages stürmte ein aufgehetzter Haufen die Mühle und wollte das Mädchen
darin bei lebendigem Leib verbrennen. In Todesangst sprang das Annechätter
aus dem brennenden Haus:

— un stracks im Brunne zue —
un öb si recht verschnufe,

het s Maidli dunte Rueh. —

Reich an solchen Quellen- und Brunnensagen war einst unser Land. Viele sind
aufgeschrieben, mehr noch vergessen worden, nachdem das Erzählen in den
Spinnstuben und beim Lichtgang aufgehört hat. — Das „Hagbrünnlein" fließt
noch unterhalb der Grüneck, dem Berg südwestlich vom Blauen. Im „alten
Schloß" auf der Grüneck hatte einst ein Ritter mit seiner schönen Tochter gehaust,
die gut zu allen Menschen war. Einmal hatte der Ritter seiner Tochter eine junge
weiße Hirschkuh mitheimgebracht, die so zahm wurde, daß sie täglich die Schloßjungfer
zum Kräuter- und Gewürzgärtchen beim Hagbrünnlein hinab und wieder
auf das Schloß hinauftrug. Ein goldenes Kettchen, das der Vater einmal der
Jungfer geschenkt hatte, legte sie dem Tier um den Hals, damit ihm niemand etwas
zuleide tat. Eines Tages hatte sich die Jungfer wieder längere Zeit beim Hagbrünnlein
aufgehalten, konnte aber erst gegen Abend das Tier zum Aufstehen
bewegen. Droben fand sie die Burg verwüstet, den Vater und einen Knecht aber
ermordet im obersten Turmgeschoß liegen. Entsetzt und erschüttert in tiefster
Seele sagte sie zu dem Tier: „Trag mi furt, wohi du witt! Nume furt!" und die
Hirschkuh trug die Jungfer in eine tiefe Felsenspalte. Nur alle hundert Jahre
sehen Sonntagskinder, wie sich die Schloßjungfer am Hagbrünnlein wäscht und
ihre goldenen Haare strehlt. Doch wenn Menschen näher kommen, flieht die Jungfer
in ihrem langen weißen Kleid auf der weißen Hirschkuh mit dem blinkenden
Kettlein, und kein Mensch weiß, wo sie sich verborgen halten.

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