Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fm
Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
38.1976, Heft 1/2.1976
Seite: 111
(PDF, 32 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-01-02/0113
unterrichten. Wie wir das Mädel beneideten, daß es nur einen Tag Schule hatte
in der Woche! Während nun der alte Beidek ein ,Schreib-Buch' führte, aus dem
uns manche Geschichte überliefert ist, hat sein Sohn Jsaac in Neuenweg weniger
hinterlassen. So erhebt sich die Frage, wie es mit der Uberlieferung überhaupt
bestellt ist. Was wissen wir heute noch von dem damaligen Leben in dem
Dörflein Neuenweg? Wenn schon die Schulmeister nichts aufschreiben, was soll
man dann erst von den Bauern erwarten, die von jeher (mit den üblichen Ausnahmen
) nicht gerne mit Tinte und Feder umgingen und oft auch kaum schreiben
konnten. Und wie steht es mit der mündlichen Überlieferung? Diese ist ja von
einer tiefen Tragik umfangen. So sehr es zeitlich möglich wäre, frühe Ereignisse
auf Söhne und Enkel zu vererben, so sehr steht dieser Quelle die Verschiedenartigkeit
von Alter und Jugend entgegen, die heute größer ist denn je. Aber
wir waren in jungen Jahren auch nicht viel anders als die heutige Jugend, was
den Umgang mit den Alten betrifft. Was hätte mir mein Großvater alles erzählen
können (er hat mir auch vieles erzählt, aber ich habe nicht recht zugehört!), wenn
man bedenkt, daß er schon 9 Jahre alt war, als J. P. Hebel starb, daß er seine
Reisen als Handelsvertreter noch alle mit der Postkutsche gemacht hat, nicht nur
in Baden, sondern auch in der Welschschweiz bis hinunter nach Genf. Als sein
jüngster Enkel durfte ich ihn täglich auf seinem Spaziergang in Müllheim begleiten
: vom Löfflerbrunnen über die Kogermühle (wo seine verstorbene Frau herstammte
) zum Gottesacker und durch die Rebberge heim in seine Wohnung, wo
es dann ein Vesper gab. Aber was frägt man im Alter von 10 bis 13 nach der
Vergangenheit? Ja, auch später verpaßte ich noch eine solche Gelegenheit, was
mich heute noch reut. Als ich schon an der T.H. in Karlsruhe mein Studium absolvierte
, wurde ich einmal von zwei baltischen Kommolitonen gebeten, sie zu
begleiten: sie besuchten oft den greisen Maler Hans Thoma und es war ihnen
aufgefallen, daß wir Oberländer an unserem Mensa-Tisch ähnlich sprachen wie
H. Thoma, wenn er ihnen seine Schwarzwälder Geschichten erzählte. Aber ich
war stur und ging nicht mit, wohl aus Scheu vor dem großen Meister und weil
ich doch von Kunst nichts verstand.

Ein Muster mündlicher Überlieferung durfte ich aber hier an meinem jetzigen
Wohnplatz erleben. Mein (inzwischen verstorbener) Nachbar erzählte mir einmal,
daß auf unserem ,Wohnplatz' statt der jetzigen zwei Häuser nur eines gestanden
sei, in dem aber 3 Familien wohnten. Eines Tages habe die eine der Frauen
Küechli gebacken, aber das Herdfeuer habe das flüssige Fett erfaßt, die Frau habe
vor Schreck die Pfanne fallen lassen und das hölzene, strohgedeckte Haus sei in
Flammen aufgegangen. Ich schenkte der Erzählung keinen großen Wahrheitsgehalt,
obschon der Nachbar betonte, daß das Haus auf meinem jetzigen Grundstück
gestanden haben müsse. Doch, als ich einige Jahre später meinen Garten terras-
sierte (um Frühbeete zu stellen), da stieß ich tatsächlich auf die Grundmauern
dieses Gebäudes, fand auch noch Geschirrscherben (nur keine Küechlipfanne), ein
Glöcklein für Geißen oder Schafe, verkohltes Gebälk, an dem sogar noch die
rechteckigen Zapfen der Holzverbindung zu sehen waren. Immerhin lag der Brand
ca. 150 Jahre zurück, aber wieviele dieser Erzählungen, welche tatsächliche Geschichte
wiedergeben, sind heute in Vergessenheit geraten, weil sie keinen Boden
fanden, auf dem sie erhalten blieben.

Inzwischen gehört man selbst zum alten Eisen und es sei daher gestattet, zu
versuchen, aus der Erinnerung heraus noch ein Bild von der ursprünglichen
Landwirtschaft zu rekonstruieren, die ja ziemlich lange bestand, u. a. im Schwarzwald
, wo die Mechanisierung in unserem ,hägen' (= gächen) Gelände nicht so
rasch Fuß fassen konnte. Ja, man könnte sagen: wie bei uns auf dem Wald die
Fasnacht nicht nur, sondern auch der Frühling später kommt als in der Rheinebene
, so kam bei uns auch der sog. Fortschritt erst viel später auf unsere Höhen.
Aber beginne ich zunächst noch in meiner Heimatstadt Müllheim: da liegt ein
Blatt eines Tagebuchs aus der Frick'schen Mühle vor mir, aus dem ich u. a. folgendes
entnehme:

111


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-01-02/0113