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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
38.1976, Heft 1/2.1976
Seite: 174
(PDF, 32 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-01-02/0176
Damals sah man ihn noch oft langsam durch die geliebten Straßen Überlingens
gehen. Sehr aufrecht mit großen ruhigen Schritten, fast als lehne er sich in einen
treibenden Wind. Silberweißes Haar umwehte das großgeschnittene Gesicht. Wenn
man ihn so gehen sah, verstand man, wie es wohl damals, an einem Sommertag
vor vielen Jahren gewesen sein mußte, als das wunderschöne Sonett „Überlingen"
entstand:

„Und durch die schattenkühlen krummen Gassen, / Mit Tor und Turm und
Erkerzier geschmückt, / Mit steilen Dächern, giebelüberbrückt, / Hab ich mich heute
wieder treiben lassen. // Und was mir draußen auf den fremden Straßen / Mit
Unrast jedes Stillesein zerstückt, / Wird alles hier ins rechte Bild gerückt / In inn'-
rer Schau, die wir so lang vergaßen. // Die Dohlen, schöner als Sankt Markus'
Tauben, / Umwirbein hoch des Münsters Glockenhauben: / Ein Mückentanz, ins
Seidenblau gestickt. II Der See kredenzt das Blut der blauen Trauben / Dem stillen
Gast in kronenalten Lauben, / Vor denen sich die weiße Möwe wiegt. //

Zu seinem 85. Geburtstag gab der Bodenseeclub eine Feierstunde im Faulen
Pelz mit Lesungen hochdeutscher und alemannischer Gedichte. Allmählich begann
sein Körper ihm nicht mehr so zu gehorchen wie es der Wanderer, Bergsteiger,
Jäger, Fischer, Segler und Skiläufer gewohnt war. Der Lebenskreis verengte sich.
Viele der Fäden, die ihn nach außen verbunden hatten, rissen ab. Die äußere Welt
verarmte, und das Heute verschwand immer mehr in der Fülle des Vergangenen
wie ein neues Blatt an einem großen alten Baum.

Als vor nunmehr fast 50 Jahren seine Gedichte in alemannischer Mundart
„Markgräfler Trüübel" erschien, waren Mundart, Tracht, Nationalgefühl und
Stammesbewußtsein noch lebendig und nicht museal wie heute. Paul Sättele hat
sein Alemannisch noch gesprochen. Tiefe Eindrücke aus seiner Jugendzeit und
-spräche stammen aus dem weingesegneten Markgräfler Land, aus dem großelterlichen
Istein, dem „Dörfli lieb un chrumm", dort wo seine Seele „mit alle Chräfte"
schwebt, „ob em Klotze wie ne Weih". Zum Dank haben die Isteiner ihm das
Ehrenbürgerrecht verliehen.

Seine Mundartgedichte sind keine Ubersetzungen aus dem Hochdeutschen in die
Mundart. Sie sind aus seiner „Muttersprache" herangewachsen, etwas, was es heute
kaum noch gibt. Doch muß man sie als Fremder gesprochen hören, um ihre klangvolle
Einfachheit und zärtliche Innigkeit voll zu verstehen. Viele von ihnen tragen
den Stempel der Hoffnungen und Sehnsüchte des jungen Paul Sättele.

Mir, für den Alemannisch eine Fremdsprache bleiben wird, sind die hochdeutschen
Gedichte Paul Sätteles das Schönste aus seinem Schaffen. Man sollte sie,
wenigstens die besten, mehr noch als dies geschehen ist (etwa in dem Büchlein
„Uberlingen im Spiegel des Sees" 1959, oder in dem der „Bodenseenovellen",
dem ebenfalls Gedichte angefügt sind) herausstellen als Blüten und Früchte des
Landes um Bodensee und Rhein, und nicht nur, um einem alten Menschen die
gebührende Würdigung zu erweisen, sondern auch, um sie vor dem Vergessenwerden
zu bewahren.

Vieles, was wir hier am See lieben, lebt in seinen Liedern. Die alte Goldbacher
Kapelle; Jörg Zürns Altar im Uberlinger Münster; man hört die Glocken der
alten Kirchen der Insel Reichenau über den See wehen, oder sieht in der schönen
Klosterkirche Birnau, wie „die Engel geigen und jubilierend aus den Himmeln
schweben, wo selbst der kalte Stein erwacht zum Leben und Putten sich wie
Menschenkinder zeigen, da muß", so meint er, „der güt'ge Gott der Liebe
wohnen."

Die Hegauberge und immer wieder der See, am Strand, im Schilf, im Ried. Die
blauen Tage, die wir alle kennen. „Wie ist alles so leicht bewegt, wie ist alles so
froh gelöst, als sei jede Sehnsucht gestillt und atme im wunschlosen Glück, jede
Ferne ist Hauch und Traum, verflüchtigt zu silbernem Duft" und über dem See
„blühn die Segel im Winde".

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