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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
38.1976, Heft 3/4.1976
Seite: 195
(PDF, 38 MB)
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Ziel annehmen. Gelehrte Arbeit, für die viele Beiträge dieses Heftes Beispiele
sind, unterbaut Programmatik und Gesinnung. Reinhaltung erstreckt sich, so gesichert
, auf Wortschatz, Syntax, Aussprache. Die Einsicht, daß sich im Reichtum
des Vokabulars, in der Einfachheit des temporalen Systems, dem Präteritum und
Futurum fremd sind, in den Varianten der Aussprache (insbesondere des Vokalismus
) ein spezifisches Sprachbewußtsein — zum Nutzen der gleichzeitig beherrschten
Hochsprache — erhält, macht die Sorge um die Reinhaltung, vor allem
als Abwehr gegenüber den weiter vordringenden Mischformen von Mundart und
Schriftsprache, so lohnend wie dringend. Der praktischen Wirkung sind freilich
Grenzen gesetzt. Die Kommunikation durch Verkehr, Politik, Verwaltung beschleunigt
sich und ebnet die Unterschiede, wie sie von Region zu Region, von
Dorf zu Dorf bestanden, fortlaufend ein. Die Abschleifung der kantonalen
Sprachunterschiede in der Schweiz entlang der beherrschenden Verkehrslinie von
Bern bis St. Gallen ist dafür ein illustratives Beispiel.

IV.

In diesen einleitenden Überlegungen ist gewiß eines deutlich geworden: die
Schwierigkeiten, die der Erfassung und Beschreibung des Verhältnisses von
Mundart und Hochsprache, aber auch den Bemühungen um die Reinhaltung des
Dialektes daraus erwachsen, daß es sich bei der lebenden gesprochenen und
geschriebenen Sprache um ein System fließender Übergänge handelt. Reines Hochdeutsch
ist so schwer eindeutig zu bestimmen wie reiner Dialekt. Isolierung der
Sprechenden wäre die Voraussetzung. Sie ist auch in Gebirgstälern heute nicht
mehr vorhanden, auch wenn da und dort ältere Sprachstufen bewahrt sind. Aber
wäre die Erhaltung von Dialektrelikten absoluter Reinheit für die Mundarten
wirklich ein Gewinn? Es würde ihnen etwas fehlen, das den Dialekten eigen ist,
die wie das Alemannische im deutschen Südwesten, im Elsaß und in der Schweiz
relativ große Verbreitungsgebiete haben: nämlich jene natürliche allmähliche
Veränderung, die innerhalb eines Mundartkomplexes im Lauf der Jahrzehnte
stattfindet und die keine Entfernung von der Reinheit bedeutet, für deren Bewahrung
wir uns oben aussprachen. Daß dieser Prozeß der Veränderung, in dem
sich das Leben der Mundart bekundet, nicht ohne die Einwirkungen sich vollzieht
, die von der sei es „vermanschten", sei es relativ reinen Hochsprache ausgehen
, ist eine der Paradoxien, mit denen sich die Liebhaber der Mundart
ständig auseinanderzusetzen haben, die sich um ihre Reinhaltung bemühen. Auch
im Sinne der Erhaltung des Dialekts fehlt es nicht an Paradoxien. So spricht eine
gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, daß in städtischen Bereichen eine durch Überlieferung
stabilisierte, stark dialektisch geprägte „Honoratiorensprache" gewissermaßen
einen Schutzwall gegen die Verdrängung der Mundart durch die Hochsprache
bildet.

Schließlich ist unsere alemannische Grenzregion selbst ein Beispiel für eine
Paradoxie, die sich gesellschaftlich und politisch höchst fruchtbar auswirken kann.
Die relative Eigenständigkeit des Markgräflerischen, des Schweizerischen und des
Elsässischen auf der Grundlage der politischen Selbständigkeit der Gebiete, in
denen sie gesprochen werden, hat eine unbewußte Rivalität, einen Wetteifer im
Festhalten des jeweils sprachlich Besonderen zur Folge. Es ist aber ein Wetteifer
im Bereich des gemeinsamen Dialekts, der so zugleich als das Verbindende wirkt,
das politischer Grenzen wenig achtet.

WILHELM VON HUMBOLDT: „Die wahre Heimat ist eigentlich die Sprache. Sie bestimmt
die Sehnsucht danach, und die Entfremdung vom Heimischen geht immer durch
die Sprache am schnellsten und leichtesten vor sich."

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