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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
38.1976, Heft 3/4.1976
Seite: 197
(PDF, 38 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-03-04/0015
Gegen die Verbreitung einer vorgeschriebenen Schriftsprache leistete die selbstbewußte
alemannische Schweiz den hartnäckigsten Widerstand. Obwohl der
Züricher Dichter Bodmer (1698—1783) und sein Landsmann Breitinger (1701 —
1776) als Vorläufer der Sturm- und Drang-Bewegung für eine dem Volksmund
entsprossene, über grammatischen Regeln schwebende „natürlich-poetische Sprache"
fochten, ließ sich der Aufklärer Gottsched nicht von seinem wissenschaftlichen
Standpunkt abbringen: er wies auf die wirksame Mustergültigkeit französischer
Vorbilder hin, drängte zum Absoluten und verschmähte die Mundarten als Notbehelf
des flachen Alltags.

Je mehr die Schriftsprache aufgewertet wurde, desto mehr wurde die Mundart
abgewertet, so daß der aufklärerische Philolog und Lexikograph Johann Christian
Adelung (1732—1801) bereits am Ende des 18. Jahrhunderts in seiner Schrift
„Über den Stil" die Mundart „als verderbte Sprache" geißelte und den Versuch
eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuchs des Hochdeutschen anstellte
.

Die Klassiker haben durch ihre vorbildlichen Werke natürlich auch dazu beigetragen
, das Problem der Schriftsprache zu bereinigen und deren Stellung zu
festigen, obgleich sie eigentlich mehr Wert auf Inhalt und Form legten als auf die
Ausdrucksmittel.

Wie dem auch sei, Deutschlands größte klassische Dichter, Goethe wie Schiller,
haben mit der Hochsprache um so mehr gerungen, als sie in ihrer Jugend nur
Mundart gesprochen hatten.

Welche unangenehme Prüfung die sprachliche Umstellung für ersteren war,
legte er in seinem autobiographischen Werk „Dichtung und Wahrheit" (Sechstes
Buch) dar, worin er von seiner Leipziger Studienzeit erzählt. Es sei, so schreibt
er zum Sprachenproblem, eine Sache, „die man nicht so leicht ablegt und umtauscht
". Und er fährt weiter: „Ich war nämlich in dem oberdeutschen (genauer
gesagt dem „oberfränkischen") Dialekt geboren und erzogen, und obgleich mein
Vater sich stets einer gewissen Reinheit der Sprache befliss und uns Kinder auf das,
was man wirklich Mängel jenes Idioms nennen kann, von Jugend auf aufmerksam
gemacht und zu einem besseren Sprechen vorbereitet hatte, so blieben mir doch gar
manche tiefer liegende Eigenheiten, die ich, weil sie mir ihrer Naivetät wegen
gefielen, mit Behagen hervorhob und mir dadurch von meinen neuen Mitbürgern
jedesmal einen strengen Verweis zuzog. Der Oberdeutsche nämlich, und vielleicht
vorzüglich derjenige, welcher dem Rhein und Main anwohnt (denn große Flüsse
haben, wie das Meeresufer, immer etwas Belebendes), drückt sich viel in Gleichnissen
und Anspielungen aus, und bei einer inneren, menschenverständigen Tüchtigkeit
bedient er sich sprüchwörtlicher Redensarten. In beiden Fällen ist er öfters
derb, doch, wenn man auf den Zweck des Ausdruckes sieht, immer gehörig; nur
mag freilich manchmal etwas mit unterlaufen, was gegen ein zarteres Ohr sich
anstößig erweist."

Ferner sagte Goethe: „Jede Provinz liebt ihren Dialekt: denn er ist doch eigentlich
das Element, in welchem die Seele ihren Atem schöpft. Mit welchem Eigensinn
aber die Meissnische Mundart die übrigen zu beherrschen, ja eine Zeitlang auszuschließen
gewußt hat, ist jedermann bekannt. Wir haben viele Jahre unter diesem
pedantischen Regimente gelitten, und nur durch vielfachen Widerstreit haben sich
die sämtlichen Provinzen in ihre alten Rechte wieder eingesetzt. Was ein junger
lebhafter Mensch unter diesem beständigen Hofmeistern ausgestanden habe, wird
derjenige leicht ermessen, der bedenkt, daß nun mit der Aussprache, in deren
Veränderung man sich endlich wohl ergäbe, zugleich Denkweise, Einbildungskraft,
Gefühl, vaterländischer Charakter sollten aufgeopfert werden. Und diese unerträgliche
Forderung wurde von gebildeten Männern und Frauen gemacht, deren
Uberzeugung ich mir nicht zueignen konnte, deren Unrecht ich zu empfinden
glaubte, ohne mir es deutlich machen zu können. Mir sollten die Anspielungen auf
biblische Kernstellen untersagt sein, so wie die Benutzung treuherziger Chroniken-
ausdrücke. Ich sollte vergessen, daß ich den Geiler von Kaisersberg gelesen hatte,

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