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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
38.1976, Heft 3/4.1976
Seite: 198
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und des Gebrauchs der Sprüchwörter entbehren, die doch, statt vieles Hin- und
Herfackelns, den Nagel gleich auf den Kopf treffen; alles dies, das ich mir mit
jugendlicher Heftigkeit angeeignet, sollte ich missen; ich fühlte mich in meinem
Innersten paralysiert und wußte kaum mehr, wie ich mich über die gemeinsten
Dinge zu äußern hatte. Daneben hörte ich, man solle reden, wie man schreibt, und
schreiben wie man spricht; da mir Reden und Schreiben ein für allemal zweierlei
Dinge schienen, von denen jedes wohl seine eignen Rechte behaupten möchte. Und
hatte ich doch auch im Meissner Dialekt manches zu hören, was sich auf dem Papier
nicht sonderlich würde ausgenommen haben."

Trotz seiner Verwurzelung im heimatlichen Frankfurter Dialekt hat sich Goethe
schon während seiner Studienzeit in Leipzig sprachlich umgestellt, ja zielbewußt
der Norm angepaßt. Er soll sich sogar eine ausgewählte Alltagssprache angewöhnt
haben. Von seiner selbsterzieherischen sprachlichen Umschulung, die ihm durch
sein späteres Seßhaftwerden im höfischen Weimar erleichtert wurde, zeugen
übrigens die zahlreichen Verbesserungen, die er in der Göschenschen Gesamtausgabe
seiner Werke von 1787—1790 vornahm und wobei er viele mundartliche
Wörter und Ausdrücke aus seiner Genie-Zeit durch genormtes, von Adelung vorgeschlagenes
Schriftdeutsch ersetzte.

Auch Schiller rang mit der Schriftsprache, kam aber von seiner schwäbischen
Muttersprache nicht ganz los. Wohl bemühte er sich, einwandfrei hochdeutsch zu
schreiben, in seinen Dichtungen klingen aber doch mundartliche Wörter und Reime
da und dort auf. Bei Zweifelsfällen soll er seinen Freund Körner um Aufschluß
und Rat gebeten haben.

Dank dem Willen der bahnbrechenden Klassiker zum Vollkommenen, zum
Mustergültigen, wurde bereits am Ende des 18. Jahrhunderts auf dem Gebiet des
dichterischen Ausdrucks eine sprachliche Norm und Strenge erreicht, die es den
Epigonen erlaubte, ohne größeren Stoffaufwand, billig Nutzen aus der vollendeten
Sprache zu ziehen, sagte doch Schiller in seinem Distichon „Dilettant" (1796)
spöttisch warnend:

„Weil ein Vers dir gelingt in einer gebildeten Sprache,

Die für dich dichtet und denkt, glaubst du schon Dichter zu sein?"

Jedes allzustrenge System erzeugt jedoch eine „Reaktion", eine Rückkehr zu
Überholtem; so war es auch der Fall zu jener Zeit in Deutschland auf dichterischem
Gebiet.

Schon der Sturm und Drang war zum Teil eine Gegenbewegung gegen die von
der Aufklärung aufgezwungene Strenge, nicht nur in Bezug auf Stoff und Form,
sondern auch in sprachlicher Beziehung, man denke nur an Goethes Anfänge als
Dramatiker, an seinen „Urfaust" oder an seinen „Götz von Berlichingen". Wie
viele mundartliche Bestandteile und volkstümliche Züge verleihen gerade diesen
beiden unnachahmlichen Jugendwerken ihre immerwährende Frische und Kraft!

Als erster Reaktionär gilt der Geschichtsphilosoph Johann Gottfried Herder
(1744—1803), der im Anschluß an Rousseaus Aufruf zu einer neuen Natürlichkeit
, die Rückkehr zum Urwüchsigen, zum Ursprünglichen predigte. In seiner
Schrift „Uber den Ursprung der Sprache" (1772) will er die Lösung des Gegensatzes
gefunden haben zwischen Gottsched, der die Sprache als Erzeugnis des
menschlichen Verstandes betrachtete, und Hamann (1730—1788), der als Gegner
der Aufklärung die Autonomie der menschlichen Natur, d. h. der Vernunft ablehnte
und das Entstehen der Sprache als „Geheimnisvolles Geschenk Gottes" bezeichnete.

Für Herder hat die Sprache einen natürlichen Ursprung: die vieltönige Natur
ist die Sprachlehrerin des menschlichen, horchenden, merkenden und wiedergebenden
Geschöpfes. Ihm zufolge kann die Sprache „niemals bloß Gemachtes"
sein, sondern ist „etwas von innen her notwendig Gewordenes".

Er fühlte sich besonders von dem „kindlichen Zustand" des Menschengeschlechts
angezogen, nicht von dem „gelehrten, verbildeten", deshalb machte er das Ur-

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