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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
38.1976, Heft 3/4.1976
Seite: 206
(PDF, 38 MB)
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unüblichen Reibelaute [f, £>] (= engl, th) und [x] (= dt. ch in Nacht) entstanden
sind, ferner durch die Festlegung des Akzents auf der ersten Wortsilbe, das „Westgermanische
" vom Urgermanischen durch die Intensivierung von Konsonanten in
gewissen Umgebungen, das Althochdeutsche vom „Westgermanischen" durch die
sog. zweite Lautverschiebung mit den Neuerungen [pf, ts] (= dt. z) und [kx]
(wie schweizerdt. hokche), also durch eine weitere Verstärkung der Neigung zu
Affrikaten, das Mittelhochdeutsche vom Althochdeutschen durch die Abschwächung
der vokalreichen unbetonten Silben zum tonlosen [a], das Frühneuhochdeutsche
vom Mittelhochdeutschen durch die Diphthongierung alter langer Vokale und die
Monophthongierung alter Diphthonge sowie durch die Störung aller quantitativen
Lautverhältnisse, das Neuhochdeutsche vom Frühneuhochdeutschen durch zunehmende
Vereinheitlichung unter mittel- und norddeutschem Einfluß und das
moderne Deutsch vom Neuhochdeutschen durch verbindliche Standardisierungen
in Orthographie und Aussprache, aber auch durch syntaktische Veränderungen
und vor allem eine explosive Zunahme der Neuwörter. Am bequemsten faßbar
sind natürlich die mittleren Epochen, die durch direkte schriftliche Zeugnisse bekannt
sind, aber doch schon eine distanzierte Beurteilung ermöglichen, während
in den modernen Stufen die Nähe die Proportionen verzerren kann.

3. Die komparatistische Sprachwissenschaft vergleicht die Systeme von verwandten
Sprachen nebeneinander und versucht, für eine Form oder ein Wort das
gemeinsame Ursprüngliche zu erschließen. So erkennt man auf den ersten Blick,
daß dt. Vater und engl, father etwas miteinander zu tun haben, und durch den
Vergleich der ältesten Belege ermittelt man als gemeinsame urgermanische Form
*fabdr 8), die nirgends schriftlich niedergelegt ist, und von germ. K'faÖar, gr. pater,
lat. pater, sanskrit pitdr- hat man eine gemeinsame Urform *p3ter erschlossen.

So ist es gelungen, sich durch den Vergleich der ältesten schriftlichen Aufzeichnungen
ein Bild zu machen, wie der gemeinsame Vorläufer der meisten europäischen
und mehrerer asiatischen Sprachen, den wir das Urindoeuropäische nennen,
ungefähr im 3. Jahrtausend vor Christus gebaut war. Der Klang jener Ursprache
ist natürlich unwiederbringlich verschollen und nicht reproduzierbar. Ihre Formen
haben stark hypothetischen Charakter und sind dermaßen theoretisch, daß sie mit
normalen menschlichen Sprechwerkzeugen kaum wiederzugeben sind, und doch
ermöglichen sie, den gemeinsamen Ursprung zweier scheinbar weitvoneinander
abliegenden Wörter, wie etwa deutsch Stern und französisch etoile, dt. -gam (in
Bräutigam) und frz. komme oder dt. Wolf und frz. loup aufzuweisen und die
verschiedene Entwicklung zu erklären — obschon gerade das letztangeführte Bei-»
spiel besondere Schwierigkeiten bietet9). Das ergibt eine ungefähre Kenntnis
unserer Sprachen über einen Zeitraum von immerhin fast fünftausend Jahren,
und durch weiter vorangetriebene Kombinationen kann man für Einzelzüge des
Systems sogar noch weiter zurückgelangen und beispielsweise gewisse Gemeinsamkeiten
zwischen dem Indoeuropäischen und dem Finnisch-Ugrischen feststellen 10).

Auffällig ist nun, daß die eigentliche Geschichte der deutschen Sprache mit
einem Begriff für etwas beginnt, das nie existiert hat: Althochdeutsch. Wir alle
verwenden das Wort und glauben zu wissen, was es bedeute, nämlich eine Vorstufe
unserer modernen Sprache. Aber wir haben im allgemeinen seit Generationen
aus dem Blick verloren, daß es sich hierbei um einen rein sprachwissenschaftlichen
Begriff handelt, dem in der Realität nichts entspricht. Es gibt für die Menschen
des 8., 9., 10. Jahrhunderts keine deutsche Sprache, und folglich ist auch die Wortbildung
„althochdeutsch" problematisch. Was es in jener Zeit gibt, sind Stammessprachen
verschiedener germanischer Völker, z. B. Bairisch, Alemannisch, Fränkisch,
Sächsisch, um nur die wichtigsten zu nennen. Der Aachener jener Zeit sprach nicht
Deutsch, sondern Fränkisch, der Straßburger Alemannisch, der Regensburger
Bairisch und der Detmolder Sächsisch. Wenn auch die Verständigung eines Baiern
mit einem Sachsen leichter war als die eines Alemannen mit einem Romanen und
wenn auch vielleicht ein Bewußtsein sprachlicher — nicht völkischer — Verwandtschaft
zwischen den verschiedenen germanischen Stämmen bestand, so fehlte ihnen

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