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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
38.1976, Heft 3/4.1976
Seite: 207
(PDF, 38 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-03-04/0025
doch — wenn wir vom Latein absehen — ein überregionales Verständigungs-
mittel n). Fränkisch, Sächsisch usw. waren die Sprachen von mehr oder weniger
autonomen Völkern, und es ist lediglich eine Folge späterer politischer und kultureller
Entwicklung, ob wir die heutige Entwicklungsstufe einer dieser alten
Stammessprachen als Dialekt oder als Sprache bezeichnen. Ein lehrreiches Exempel
ist das Niederfränkische, das, wie es in Belgien und in den Niederlanden verwendet
wird, als Sprache gilt, weil sich das gesamte kulturelle, schriftliche und
wissenschaftliche Leben darin abspielt, innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik
jedoch als Dialekt, weil hier für den weiterreichenden Verkehr eine andere
Sprache, das Schriftdeutsche, angenommen worden ist. Man braucht sich nur einmal
eine vergleichbare Situation im alemannischen Südwesten des Sprachgebiets vorzustellen
: hätten die Eidgenossen nach 1499, der faktischen Lösung vom Reich,
ihre damals existierende Schreibsprache konsequent weiterentwickelt und nicht
zugunsten der Sprache Mitteldeutschlands aufgegeben, hätten wir heute eine
stark der Mundart gleichende schweizerische Schriftsprache, die als solche von den
Menschenrechtskonventionen anerkannt wäre, während dieselbe Mundart jenseits
der Grenzen der Eidgenossenschaft, also im Elsaß, in Baden und Württemberg
und im Vorarlberg auf dem Status von Dialekten stünde.

Es gab also, wie gesagt, im 1. Jahrtausend n. Chr. keine übergreifende deutsche
Verkehrssprache. Und viel stärker als heute muß damals partikularistisches Denken
geherrscht haben in einer fast zu hundert Prozent analphabetischen und nur
wenig mobilen Gesellschaft, die nicht unter dem ständigen Einfluß des überregionalen
Verkehrsmittels stand. Der Begriff „deutsch", der die germanischen
Sprachen des karolingischen Reiches gegen die romanischen und slawischen abhebt
und als ähnlich zusammenfaßt, existiert zuerst nicht überall in der Volkssprache,
sondern ist nur in seiner lateinischen Form theodiscus ein Wort der königlichfränkischen
Administration unter dem man die Gemeinsamkeiten aller im
Reich vereinigten germanischen Stämme betonen konnte, ohne irgendwelche Empfindlichkeiten
der einzelnen anzurühren. Die deutsche Entsprechung äiutscb
wird erstmals in dem kurz vor 1100 entstandenen „Annolied" faßbar 13) und
wird wohl im Verlauf des folgenden Jahrhunderts volkstümlich.

Es würde also der historischen Wirklichkeit besser entsprechen, wenn wir anstatt
von Althochdeutsch von Altalemannisch, Altbairisch, Altfränkisch sprächen und
uns bewußt wären, daß die sogenannten Dialekte vor der Schriftsprache da waren
und daß die letztere im Grunde ein Derivat aus den verschiedenen Stammessprachen
darstellt.

Und doch muß es einen bestimmten Grund haben, daß die Sprachwissenschafter
die altalemannischen, altbairischen und altfränkischen Sprachdenkmäler als „althochdeutsch
" bezeichnen konnten. Es liegt nicht nur am Ergebnis der späteren
Verschmelzung mehrerer Idiome in einer verhältnismäßig einheitlichen Verkehrssprache
, dem Neuhochdeutschen, sondern viel mehr an gewissen alten lexikalischen,
morphologischen und vor allem phonetischen Gemeinsamkeiten der südlichen
Germania gegenüber der nördlichen und auch gegenüber den in der Völkerwanderung
untergegangenen Sprachen. Denn was heißt „Hochdeutsch" ursprünglich?
Bis ins 17. Jahrhundert ist es eine rein geographische Bezeichnung, die die Sprache
der Oberdeutschen von der der Niederdeutschen und Niederländer unterschied.
„Hoch" rief in diesem Zusammenhang keinerlei sprachbezogene Wertvorstellungen
hervor „Hochdeutsch" hieß die Sprache, die von den Leuten an den Oberläufen
der großen Ströme gesprochen wurde, also Alemannisch oder Schwäbisch,
Bairisch und Oberfränkisch. Und diese Redeweise unterschied sich auch in den
Ohren von linguistischen Laien so deutlich von der niederdeutschen, daß sie sie als
Einheit auffassen und leicht über die internen Unterschiede hinwegsehen konnten.

Dieser ursprünglich geographische Ausdruck wurde im 19. Jahrhundert von der
historischen Sprachwissenschaft mit einem neuen, ausschließlich linguistischen
Sinn gefüllt: Als hochdeutsch, respektive althochdeutsch bezeichnete sie nun eine
Sprache, die an der zweiten Lautverschiebung teilgenommen hat, eine Sprache also,

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