Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fm
Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
38.1976, Heft 3/4.1976
Seite: 220
(PDF, 38 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-03-04/0038
geradezu Barrikaden zwischen Jung und Alt in Staaten und Gesellschaften, in
Moral, in Wissen und Wollen, in der Struktur der Persönlichkeit wie in ihrer
Erscheinung — Barrikaden, die rasch und leicht gebaut scheinen, aber rund um
Universität, Politik, Justiz, Gesellschaft schon erstaunlich fest geworden sind."
Man fühlt sich an Lessings Satz erinnert: „Man spricht selten von der Tugend, die
man hat; aber desto öfter von der, die uns fehlt." Die Leute, die über Sprachbarrieren
wehklagen, sind selber Meister im Errichten solcher Barrieren.

In diesen Kreisen sind nun auch die Dialekte in die Diskussion einbezogen
worden. Dabei geht man meist von der Situation in Deutschland aus, wo die Verwendung
eines Dialekts so oft (freilich noch nicht in der Nachbarschaft der
Schweiz) als Zeichen mangelnder Bildung und der Zugehörigkeit zur Unterschicht
gilt. In der alemannischen Schweiz dagegen hat sich infolge der besonderen
historischen und politischen Konstellation die Situation ergeben, daß die Dialekte
die Sprachen des Alltags sind, d. h. daß sich die mündliche Verwendung der
Schriftsprache auf Schule, Kirche und gehobenere Veranstaltungen beschränkt.

Das wichtigste äußere Kennzeichen eines Dialekts besteht darin, daß er sich
von der „Normalsprache" hörbar durch abweichende Lautungen unterscheidet,
wobei diese und andere Abweichungen (anders als bei einer Fremdsprache) ein
Verständnis nicht verunmöglichen. Bis zur Mainlinie kann sich ein Schweizer mit
seinem Dialekt in Deutschland durchschlagen; Eigenheiten im Wortschatz (z. B.
Perron statt Bahnsteig) können freilich immer wieder einmal zu Verständnisschwierigkeiten
oder Mißverständnissen führen.

Galten die abweichenden Lautungen der schweizerischen Mundarten langezeit
als „Fehler", so ergab die Beschäftigung mit dem Mittelhochdeutschen, die im 18.
Jahrhundert einsetzte, daß die Schweiz zu einem guten Teil die Laute der mittelalterlichen
Sprache bewahrt hat, daß also die Abweichungen nicht auf das Konto
der Mundart, sondern der Schriftsprache zu setzen sind. Wenigstens in der
„Bildungsschicht" hat diese Erkenntnis ein Bewußtsein für die „Würde" des Dialekts
geschaffen. Aber anders als in Holland, wo der niederdeutsche Dialekt zur nationalen
Schriftsprache erhoben wurde, blieb in der Schweiz trotz ähnlicher politischer
Voraussetzungen das „Hochdeutsch" die Schriftsprache, eine Entwicklung, die
unbestreitbare Vorteile für den kulturellen Austausch bietet, aber zugleich die
Schwierigkeiten, daß die deutsche Schriftsprache für Schweizer eine halbe Fremdsprache
ist, die man erst in der Schule erlernt. Ein fünfjähriges Kind kann sich
deshalb mit einem hochdeutsch Sprechenden kaum oder gar nicht verständigen.
Diese Tatsache scheint denen recht zu geben, die im Dialekt eine Sprechbarriere
sehen.

Jeder neigt dazu, sein anerzogenes Verhalten als das richtige zu betrachten, und
so gilt auch die in der Kindheit erworbene Sprache als die richtige. Man ärgert sich,
im eigenen Territorium mit unverständlichen Wörtern angeredet zu werden. Der
Fremde, der sich nicht verständlich machen kann, erscheint als Fremdkörper; diese
innere Ablehnung schafft psychische Barrieren. Sie stellen sich aber ebenso leicht
ein, wenn der Fremde zwar verstanden wird, aber in abweichenden Lauten
redet. So „mittelhochdeutsch" sich die schweizerischen Dialekte präsentieren, so
groß sind doch die Abweichungen nicht nur unter den Kantonen, sondern oft
sogar zwischen benachbarten Dörfern. Wo sich solche Unterschiede nicht abgeschliffen
haben, spiegeln sie ein ausgeprägtes lokales oder regionales Sonderbewußtsein,
genau so, wie auf höherer Ebene das generelle Festhalten am Dialekt das schweizerische
Sonderbewußtsein gegenüber Deutschland spiegelt. Wegen der Vielfalt der
Dialekte sind den Sprechern die eigenen Besonderheiten meist bewußt; dann
können sie nicht geringe psychische Bedeutung haben, obwohl abweichende
Lautungen inhaltlich bedeutungslos sind. Wenn beispielsweise die Einwohner von
Elm (Kt. Glarus) im Unterschied zu ihren Nachbarn gheine und nicht gcheine für
keiner sprechen, so verändert sich in der Aussage nicht das mindeste, aber
das Festhalten am lokalen Laut ist vom dörflichen „Wirgefühl" getragen und
stützt gleichzeitig dieses Gefühl.

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