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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
38.1976, Heft 3/4.1976
Seite: 228
(PDF, 38 MB)
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völliges Verständnis der Schriftsprache ohne Schwierigkeiten möglich war. Sprachliche
Schwierigkeiten sind nirgends auch nur angedeutet, auch nicht bei denen, die
die Schule nicht besucht haben. Wenn Gmelin schlecht urteilt, dann haben die
Betreffenden „wenig gelernt", auch der beschränkte Verstand wird gelegentlich,
aber ganz selten, erwähnt. Wenn man nicht wüßte, daß das ganze Dorf Dialekt
gesprochen hat, vom Schwaben Gmelin erführe man es nicht. Er erwähnt die
Tatsache der Dialektsprachigkeit kein einziges Mal.

Eine reiche bildungsgeschichtliche Literatur bietet, soweit zu sehen, wenig ähnliches
quantitatives Material oder Hinweise auf quantitative Quellen. Vielleicht
sind deshalb die geschichtlichen Aspekte, die zur heutigen Sprachbarrieren-Diskussion
geführt haben, recht wenig beachtet worden.

3 Historische Hintergründe

Deshalb soll hier mit einfachen Mitteln einmal untersucht werden, seit wann bei
uns die Sache nachzuweisen ist, zu der die Vorstellung Sprachbarriere seit 1958
erkennbar wird, seit Basil Bernstein also. Ausdrücklich befassen wir uns nicht mit
soziologischen Aspekten, die auch in Dialektgemeinschaften mehr oder weniger
Bedeutung haben. Auch der Umstand, daß Dialekte gewisse Eigenheiten und
Sondergesetzlichkeiten haben, die für das fehlerfreie Erlernen der Schriftsprache
hemmend wirken können, ist nicht bestritten. Uns interessiert die Frage, inwieweit
solche Hemmnisse als echte Barrieren schon immer sichtbar waren und ob es
nicht bisher unerkannte oder nicht genannte Umstände gab (und gibt), die geeignet
sind, die Beurteilung der Frage zu verändern. Sind die beiden bisher besprochenen
historischen Beispiele vielleicht nur zufällig so verschieden? Oder zeigen sich in der
offenbar verschiedenen Einstellung der Beteiligten auch grundverschiedene äußere
Einflüsse, die sich im bildungsgeschichtlichen Ergebnis niederschlagen? Welches sind
diese Einflüsse? Warum spricht man nicht von ihnen?

3.1 Daß schon das Mittelhochdeutsche bei allen erkennbaren Dialekteinflüssen
bestrebt war, hochsprachliche Formen auszubilden, die möglichst an allen Höfen
des deutschen Sprachraumes gleich gut verstanden werden sollten, ist unbestritten.
Das scheint keinerlei Schwierigkeiten geboten zu haben. Im „Meier Helmbrecht"
macht sich der Autor über die Großtuerei des jungen Helmbrecht lustig, wobei er
auch das Mittel der Sprache einsetzt. Er läßt ihn fremdsprachige Sätze und Brok-
ken, aber auch in niederdeutscher Mundart reden. Des jungen Helmbrecht Gesprächspartner
(Bayern) zeigen jedoch nur Schwierigkeiten beim Verstehen des
Französischen oder Tschechischen, nicht dagegen beim Niederdeutschen.

3.2 Hier darf auf die flämischen Freiheitskriege des 14. Jahrhunderts, deren
Fanfare das „Kerelslied" gewesen ist, verwiesen werden. Diese blutigen, fast ein
Jahrhundert dauernden Kämpfe entsprangen einem fast unentwirrbaren Knäuel
verschiedenster Motive: sozialen, regionalen, antifeudalen, Stadt-Landgegensätzen,
sprachlichen Gegensätzen. Henri Pirenne, der heute noch als maßgebend anerkannte
belgische Historiker, verneint zwar 15) den nationalsprachlichen Gegensatz
zwischen Flämisch und Französisch für jene Zeit. Er selbst bietet freilich zahlreiche
Argumente, mit denen auch die gegenteilige Meinung zu begründen ist. Aber eines
ist auf jeden Fall sicher: Pirenne selbst beschreibt, und das Kerelslied ist ein
zeitgenössischer Beleg dafür, den Kampf als Auseinandersetzung zwischen den
volkssprachlichen, nach Selbstverwaltung strebenden Flamen und den feudalen,
aristokratischen, unduldsam einheits- und hochsprachlichen, zentralistisch verwaltenden
Machtansprüchen der französischen Krone und ihrer Anhänger.
Kurzum, dies ist ein Beleg von europäischer Bedeutung für den Kampf einer verachteten
, bäuerlich geprägten, volkssprachlichen Minderheit gegen hochsprachlichen
Überlegenheitsanspruch, Bevormundung und kulturellen Hochmut.

Man hat sich oft gefragt, was Karl den Kühnen bewogen hat, 1476 die alten
Eidgenossen anzugreifen. Reichtümer waren in ihrem Land nicht zu holen. Das

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