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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
38.1976, Heft 3/4.1976
Seite: 233
(PDF, 38 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-03-04/0051
Der Zustrom von Flüchtlingen, Vertriebenen und Umsiedlern, die auf
das „Hochdeutsche" als Verständigungssprache angewiesen sind.

Die horizontale (geographische) Mobilität, die die zweite industrielle
Revolution und das heutige Berufsleben mit sich gebracht haben.

Der Wandel, den die Sprache durch die Ausbildung einer Vielzahl von
Fachsprachen (als Beispiel „Soziologen-Chinesisch") mitgemacht hat. Und
schließlich

die Internationalisierung, aber auch Verflachung der Sprache, die Zunahme
des Gebrauchs leerer, unverständlicher Sprachhülsen.

4.11 Die Folgen des Krieges haben auch bei uns eine bedeutende Verstärkung
des „hochdeutsch" sprechenden Elements gebracht, aber nicht deshalb, weil alle
Zuwanderer von Hause aus Hochdeutsch gesprochen hätten. Für viele Dialektsprecher
, etwa aus Ostpreußen, Pommern oder Südosteuropa, ist es nur ein besseres
Verständigungsmittel zweier oder mehrerer verschiedener Dialektsysteme. Diese
Zuwanderung hat einen vollständigen sozialen Querschnitt der Zugezogenen, dem
gleichzeitig auch der Bildungsquerschnitt entsprach, mit sich gebracht. Die soziologische
Situation der einheimischen Bevölkerung und der Bildungsquerschnitt
der neuen Gesamtbevölkerung hat sich dadurch zunächst überhaupt nicht verändert
. Deshalb ist es nicht richtig, zu unterstellen, der Gebrauch des „Hochdeutschen
" zeige eine höhere soziale Stellung an, von ihm hänge das bessere Fortkommen
ab.

Weil diese Meinung aber weit verbreitet ist, ist sie ernst zu nehmen. In keinem
der Alpenländer, weder in der Schweiz noch in Bayern oder Österreich könnte
eine solche Unterstellung ohne Beweis geäußert werden. Es kann hier auf Niedersachsen
verwiesen werden, wo das Plattdeutsche am Aussterben ist, um den
Trugschluß nachzuweisen, die Aufgabe des Dialekts zugunsten des Hochdeutschen
sei für die soziale Stellung des Sprechers irgendwie bestimmend. M) Diese Veränderung
ist in Wirklichkeit wertneutral. Die ältere Generation weiß unzählige
Beispiele dafür, daß dialektsprachige Lehrlinge mit einfacher, keineswegs akademischer
Bildung in leitende Stellungen der Wirtschaft aufgestiegen sind. Die
Beispiele von dialektsprachigen Abiturienten unseres Gebiets, die Professoren,
Rektoren, hohe Beamte, Minister usw. geworden sind, sind zahlreich. Heute
sind in der Wirtschaft die Anforderungen an die Ausbildung höher, aber mit
der Sprache hat das nichts zu tun.

Meist dürfte diese Frage nur an der Oberfläche betrachtet werden. In einigen
Berufen gibt es viele Leute, die es gern hätten, wenn sie die „Halskrankheit"
nicht mehr hören müßten und die es bequemer fänden, eine Einheitssprache zu
haben. Garnicht selten sind die Fälle, in denen das Hochdeutsche als „Domestikationsmittel
", M) eine mehr individuelle Form des Subordinationsproblems, angesehen
und benützt wird. Schließlich ist es eine immer wieder zu beobachtende
Tatsache, daß dialektsprachige Eltern glauben, sich, bzw. ihre Kinder einer solchen
Situation unterwerfen zu müssen, indem sie sie zwingen „hochdeutsch" zu sprechen
. Die Soziologen bewerten diesen Vorgang als Verhalten der typischen Mittelschichten
, während die Oberschichten sich darum gerade nicht kümmern. S1) Dabei
wird zu bedenken gegeben, daß die darin zum Ausdruck kommende Unsicherheit
der Eltern, auch bezüglich ihrer sozialen Stellung, nachteilige Wirkungen auf die
Kinder haben kann.

Soziale Folgen für die Sprachgemeinschaft hat eine solche Entwicklung spätestens
dann, wenn der Dialekt aus städtischen Zentren verdrängt ist, nur noch
auf ein Minderheiten-Dasein beschränkt wird und in ländlichen Rückzugsgebieten
eine belächelte Kuriosität ist. Unter solchen Umständen wäre der Dialekt, wie
die Soziolinguisten sagen, eine Unterschichtsprache geworden. Seine Stadt und

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