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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
38.1976, Heft 3/4.1976
Seite: 241
(PDF, 38 MB)
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geschehen. Und zwar sollten dabei nicht nur immer die Gegensätze betont werden,
sondern auch die Gemeinsamkeiten. Man könnte sich die beiden Sprachformen
als zwei große Kreise vorstellen, die mit großen Teilen ihres Inhalts übereinander-
greifen. Der immer wieder gepriesene Leitsatz „Mundart und Schriftsprache jede
an ihrem Ort" hilft in seiner lapidaren Einfachheit nicht viel weiter. Weder ist die
Schriftsprache beschränkt (oder nur in ihrem „wahren Element") im Rationalen
und Geistigen, noch die Mundart im Familiären und Emotionalen. Die Möglichkeiten
reichen ja weit in das Gebiet des Nachbarn hinein. Für die Mundart wäre
der Verlust der geistigen Dimension verhängnisvoll: sicher kann man für sich
selber einen Schnitt machen und sich in zwei Sprachformen bewegen, aber es muß
der Einheit der Sprachform „Mundart" abträglich sein, wenn sich in ihr nicht
auch Geistiges und Abstraktes ausdrücken ließe. Allerdings, ohne Anleihen bei der
Schriftsprache geht das nicht mehr, weil die Ausbildung einer regionalen, oberdeutschen
Schriftsprache auf mundartlicher Grundlage durch die Einführung der
Luthersprache ein jähes Ende gefunden hat. Da aber beide Sprachformen, Mundart
wie Schriftsprache, kenntliches Deutsch sind, können und dürfen die Überschneidungen
nicht fehlen, wenn nicht eine „Verelsässerung "der Mundart eintreten soll,
eine Mundart, der die komplementäre Ergänzung der Hochsprache zu entschwinden
droht. Sicher bliebe damit die Mundart in mancher Beziehung altertümlicher
und gegen den größeren und mächtigeren Verwandten abgeschirmter, aber es
befördert eben doch die soziale Deklassierung der Mundart, und dies scheint mir
auf lange Sicht gefährlicher als eine wohl unvermeidliche Nivellierung in Richtun?
Umgangssprache regionaler Prägung.

Daß umgekehrt die Hochsprache immer wieder aus der Mundart einen besonderen
Gewinn zieht, ist allzubekannt, um noch mit Beispielen belegt werden zu
müssen. Ein weiß Gott moderner Autor wie Martin Walser nennt sie die verborgene
Golddeckung einer Sprache. Mit ein paar Beispielen möchte ich dies
verdeutlichen. Zum Mittelpunkt des Kreises, in welchem die Mundart zu Hause
ist, gehört der Bildbereich. Während das Bild in unserem täglichen Sprechen mehr
und mehr verblaßt, ist es in der echten Mundart noch voll am Leben: sie steht
damit — denn es geht hier letztlich um ein Stilelement der Volkssprache — der
Dichtung unmittelbar nahe. Umgekehrt muß Dichtung als Mundartdichtung ebenso
unmittelbar sprachnah sein, sprachwahr, und dies bedeutet einen großen Reichtum
an sprachlichen Möglichkeiten, aber auch eine Beschränkung zugleich: es gibt keine
gesteigerte und über das lebendige Sprechen hinausragende Kunstsprache der
Mundart, kein „Heideggersches" Wagen in die Randsituationen des Sprachlichen
hinein: Entweder wir bleiben bewußt im Bereich des Spiels oder es droht tödliche
Verstiegenheit. Doch vermag die Andeutung und das Verschweigen viel, wie die
Mundartgedichte des Berner Pfarrers Kurt Marti zeigen, die unter dem Titel Roas
Laui im deutschen Luchterhand-Verlag, Neuwied und Berlin, erschienen sind,
„vierzig gedieht ir bärner umgangsschprach". Doch nun zum Bildbereich:

Die Mundartforschung hatte sich in der Vergangenheit auf dem Gebiete des
Wortschatzes vornehmlich mit der Sachkultur befaßt, mit dem Bezeichnungsreichtum
der Volkssprache für Pflanzen, Tiere, etwa Insekten, bäuerliche Gerätschaften
Benennung von Kopftracht, und was dergleichen mehr ist. Mit dem Untergang der
alten bäuerlichen und handwerklichen Arbeitsmethoden entschwindet auch dieser
Wortschatz. Schöpferisch ist die Mundart aber wie eh und je auf dem Gebiete des
Emotionellen. So sind Arbeiten erschienen über die Bezeichnungen für die Frau
(aus der Sicht des Mannes natürlich), ihrer Erscheinung nach Äußerem und Inneren
ihres Wirkens, ihres Zivilstands, sozialer Stellung und besonderer gesundheitlicher
Zustände (Menstruation, Schwangerschaft usw.). Ein reiches Bezeichnungsfeld ergibt
sich in einer Arbeit über die Bezeichnung der bleichen Hautfarbe oder des
Wortfeldkomplexes „Wäärche-Schaffe". Eine Berner Dissertation von Gertrud
Frei untersucht das Walserdeutsch von Saley (Saleggio im italienischen Antigorio-
tal) an den drei letzten Sprechern dieser Mundart. Der Teildruck umfaßt über
400 S. Auch hier steht der Mensch im Mittelpunkt der Wortinhaltsforschung: seine

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