Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fm
Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
38.1976, Heft 3/4.1976
Seite: 282
(PDF, 38 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-03-04/0100
leisten, wenn sie die jungen Menschen mehr als Individuen, denn nach ihrer vielleicht
zu dialektverhafteten Ausdrucksweise betrachten und beurteilen würden.

Der Schreiber dieser Zeilen kam vor zwölf Jahren an eine „sogenannte Zwergschule
", inmitten des Markgräflerlandes gelegen. Hochdeutsch war für die Schulanfänger
eine Fremdsprache, sofern beide Elternteile Alemannen waren. Das
war an meiner Schule der überwiegende Teil. Sehr bald merkte ich, daß die aktive
Beteiligung am Unterricht weitgehend davon abhing, ob von den Kindern Äußerungen
, bzw. Antworten in Schriftdeutsch verlangt wurden oder nicht. Wir
führten wunderbare Unterrichtsgespräche in Alemannisch, wir kamen fast nie
zum Dialog in der Schriftsprache. Hier stellte sich mir die schwerwiegende Frage,
ob so ein sieben- oder achtjähriges Kind nicht viel mehr Bildung erfährt, wenn
man es freiweg berichten und fragen läßt, als wenn man schriftdeutsche, womöglich
auch gleich grammatikalisch perfekte Antworten verlangt. Nun heißt es in den
neuen Arbeitsanweisungen für die Grundschule erfreulicherweise, daß der Dialekt
ein voll funktionsfähiges Sprachsystem ist. Stark dem Dialekt verhaftete Kinder
können an der aktiven Teilnahme am Unterricht jedoch große Schwierigkeiten
haben; dies vor allen Dingen dann, wenn der Lehrer „. . . Dialektsprechen als
fehlerhaft ansieht und die Standardsprache zur Sprechnorm macht." Uber die
Pflege des Dialektes in der Schule habe ich nichts gefunden, und es bleibt bei den
Anweisungen auch jedem Lehrer freigestellt, wie er verfährt.

In vielen Fällen ist es leider so, daß der Lehrer keinerlei Beziehung zu unserem
Dialekt hat, und das halte ich für schlimmer, als wenn hin und wieder im Unterricht
Dialekt gesprochen wird.

öfters hört man auch den Ausdruck „Sprachbarriere". Diese gibt es — leider —,
und ich möchte sie dahingehend interpretieren: ein Schüler weiß sehr wohl eine
Antwort oder einen Sachverhalt zu erklären, aber in dem Moment, wo von ihm
die Äußerung in Schriftdeutsch verlangt wird, gerät er ins Stocken oder sagt gar
nichts; die Barriere hat sich schnell gesenkt. Dadurch entsteht dann leider allzuoft
ein falsches Bild über den zu Beurteilenden, und das Los einer umfassenden Beurteilung
trifft jeden Schüler mindestens alle Halbjahre einmal.

Starke Dialektverhaftung bringt natürlich auch Probleme mit sich, welche von
Leuten, die von Dialekt nichts verstehen gerne mit Schlagworten wie „Wortschatzarmut
". „Lese-Rechtschreibschwäche" u. a. bezeichnet werden. Daß aber ein
Markgräflerkind schon im Grundschulalter in Wirklichkeit einen schon viel größeren
Wortschatz hat, mit dem es aber in der Schule nichts anfangen kann, weil
es halt „anderscht schwätzt als s'Fräulein Lehrerin oder dr Härr Lehrer gärn hört",
muß auch gesagt werden. Mancher lese- und rechtschreibschwache Schüler hat diesen
(heilbaren) Makel auch nur davon, daß das permanent geforderte Schriftdeutsch
in den ersten beiden Schuljahren einfach nicht bewältigt werden kann. Im
dritten Schuljahr kann das schriftdeutsche Sprachtraining verstärkt werden. Ein
bewährtes Mittel dafür ist der Gedichtvortrag. Verschiedene moderne Lerntheoretiker
lehnen es zwar ab, aber in unserem Sprachgebiet ist das Auswendiglernen
eine Brücke zur Schriftsprache. Es sollten dabei Texte zur Auswahl kommen
, welche verstanden werden und Freude machen.

In einem kürzlich gegebenen Interview des Kultusministers unseres Landes im
Südwestfunk sagte der Minister u. a., daß man heute zur Einsicht gekommen sei,
in der Grundschule möglichst wenig Bezugspersonen pro Kind zu haben, und
damit gestand er indirekt ein, daß das in den letzten Jahren ganz schön übertriebene
Fachlehrerprinzip in der Grundschule fehl am Platz war. Wenn in
Zukunft also wieder mehr Fächer in der Grundschule in der Hand eines Lehrers
sein werden, so dürften die in den letzten Jahren so stark in den Vordergrund
getretenen Schwierigkeiten betreffs Dialekt und Schule wieder verflachen, denn
dann kennt der Lehrer seine Schüler auch wieder besser und wird, wo nötig,
helfen, die Barrieren zu überwinden.

Mit etwas Mühe und Geduld ist es auch im Markgräflerland möglich, im Verlauf
der vier Grundschuljahre den Kindern die Schriftsprache im erforderlichen
Maße beizubringen, ohne ihnen die Freude an der „Muetterschproch" zu nehmen,

282


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-03-04/0100