Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fm
Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
38.1976, Heft 3/4.1976
Seite: 285
(PDF, 38 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-03-04/0103
Die Sprachschichtendiskussion hat daher im Gegenteil auf die Einstellung
der Lehrer gegenüber ihren Kindern gelegentlich einen unseligen Einfluß ausgeübt
. Die Regionalsprache hat durchaus ihre eigene Schichtung, was aber dem, der
sie nicht kennt, zwangsläufig verborgen bleiben muß. Dies ist im alemannischen
Sprachgebiet außerhalb der Schweiz lange Zeit durch die unausgesprochen
herrschende Ideologie verdeckt worden, die die sogenannten Gebildeten im täglichen
Umgang die Hochsprache benutzen ließ. Es liegt daher nicht an der alemannischen
Sprache selbst, wenn sich ein schichtenspezifischer Unterschied zwischen
„Dialektsprechern" und „Normsprechern" herausgebildet hat. Weil es bisher
zumeist das sogenannte einfache Volk ist, das sich ausschließlich alemannisch verständigt
, und weil in den dabei zum Ausdruck kommenden einfachen Sachverhalten
in der Regel ein bescheidener Wortschatz ausreicht, versinkt die differenzierte
Ausdrucksmöglichkeit der alemannischen Sprache in Vergessenheit. Außerdem entfällt
der Zwang, komplizierte und neu auftretende Sachverhalte in ihrer Sprache
auszudrücken. Wer hat nicht schon beobachtet, daß viele Alemannen sofort in eine
Mischsprache verfallen, wenn es gilt, schwierige oder „moderne" Sachverhalte aus
Politik, Gesellschaft, Mode oder Wissenschaft anzusprechen. Wie schnell gehen
Alemannen ins Hochdeutsche über, sobald ihnen Gesprächspartner mit hochdeutscher
Zunge gegenüberstehen! Dies gilt übrigens auch für Schweizer.

Ich kann den Ursachen dieses Problems nicht auf den Grund kommen. Aber
mitverantwortlich ist sicher das Gefühl des Scheiterns an der gewohnten Sprache
und das daraus erklärliche weitverbreitete Minderwertigkeitsgefühl der Alemannen
, die Furcht aber auch, sich mit seiner alemannischen Ausdrucksarmut und
faktischen Wortarmut zu blamieren. Es gibt daher sehr wohl so etwas wie die
typisch alemannische Sprachbarriere. Und auch daran mag die Schule ihren
Anteil haben.

Nicht zu übersehen ist, daß die Entwicklung der Abstrakta im Alemannischen
nicht Schritt gehalten hat mit der Hochsprache. Auch diesem Umstand kann hier
nicht nachgegangen werden, doch dürfen die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten
für Alemannenkinder nicht übersehen werden.

Man muß sich einmal vorstellen, was der Schuleintritt für jedes Kind bedeutet.
Es kommt aus seiner mehr oder weniger behüteten häuslichen Umgebung heraus
und mit einer völlig neuen Sprachwelt in Berührung. Gewohnt, sich frei und unbekümmert
im Alemannischen zu äußern, muß das Lesen und Schreiben von
Anfang an im Hochdeutschen erfolgen. Die Unterrichtssprache ist hochdeutsch.
Die Schriftsprache erscheint dem Kind dabei doppelt fremd. Es erlernt Wörter
und Schriftsymbole unabhängig von seinem viel reicheren Sprachschatz der alemannischen
Muttersprache, den es seit seinem zweiten Lebensjahr erworben
hat. Auch wenn eine große Verwandtschaft im Elementarwortschatz zum Hochdeutschen
besteht, erlebt das Kind doch die völlig andersartigen Laute der Hochsprache
nahezu als Fremdsprachklang.

Die bisherige Gestaltung der Bildungspläne und die nicht erfolgende Vorbereitung
der Junglehrer in ihrem Studium auf das angesprochene Problem lassen
im übrigen etwas Neues kurzfristig gar nicht zu. Das Alemannenkind muß jedoch
die Möglichkeit erhalten, seine Ausdrucksfähigkeit im Alemannischen zu steigern.
Das bewußte Abwürgen des Alemannischen durch eine Arbeit, streng am geltenden
Bildungsplan, verschüttet die Quellen, aus denen das Kind auf natürliche Weise
seine Sprachentwicklung erleben könnte. Es muß jedoch erleben dürfen, wie entwicklungsfähig
und differenziert seine Muttersprache ist. Dies ist sein Recht, das
Geltung erhalten muß!

Das Alemannische ist im übrigen in einigen Bereichen der Hochsprache im
Ausdrucksreichtum deutlich überlegen. Dies gilt vor allem für Adjektive und
Verben, die das sinnlich Wahrnehmbare betreffen. Lautmalerei und Bildhaftigkeit
im Konkreten wären aber besonders geeignet, die kindliche Sprachentwicklung bis
zum vollendeten 12. Lebensjahr zu fördern. Dies ist wiederum nur möglich, wenn
die schulische Sprachbildung bewußt das Alemannische in dessen Verbreitungs-

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