Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fm
Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
38.1976, Heft 3/4.1976
Seite: 286
(PDF, 38 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-03-04/0104
gebiet als Werkstoff verwendet, wie das bereits oben gefordert worden ist. Den
Alemannenkindern — auch aus einfachem Sprachmilieu — steht ein reiches
Arsenal an bildhaften, lautmalenden, „greifbaren", kurz Vokabeln der sinnlichen
Wahrnehmung zur Verfügung, das in der Schule überhaupt nicht gefragt ist,
weil die Lehrer zum größten Teil eben keinen Zugang dazu besitzen. Gefragt sind
„hochdeutsche" Ausdrücke, die von den zugezogenen oder hierzulande hochdeutsch
aufgewachsenen Kindern mühelos beherrscht werden. Genau aus diesem
Vorgang, der sich bei jedem Alemannenkind tausendfach im Laufe der Schulzeit
abspielt, entwickelt sich der alemannische Dummenkomplex.

Eine Hauptschwierigkeit bedeutet natürlich die Rechtschreibung. Es ist erfreulich
, daß diese Disziplin allmählich etwas von ihrer dominierenden Rolle in der
Beurteilung jeder Schulleitung verliert. Dem oft gehörten Vorurteil, schwache
Rechtschreibung käme vom Alemannischen, und es gebe so etwas wie einen
alemannischen Verstärkereffekt bei vorhandener Rechtschreibschwäche, muß jedoch
widersprochen werden. Zumindest muß die Feststellung getroffen werden, daß
der Sachverhalt sicher komplizierter ist, als er im Schulalltag oft dargestellt wird.
Der Verfasser hat in langjähriger Arbeit im Deutschunterricht oft genug die
Erfahrung machen können, daß das Bewußtmachen von Sprachunterschieden zu
einem differenzierten Sprachgefühl gerade im Hinblick auf die Rechtschreibung
führt und bei der Überwindung regionalsprachlich bedingter Schwierigkeiten
durchschlagend helfen kann. Daher ist es besonders wichtig, daß dem Lehrer die
Zusammenhänge klar sind. Er muß wissen, daß im Alemannischen alle harten
Konsonanten weich gesprochen werden, daß eine Unterscheidung der Verschlußlaute
wie „B" und „P" oder „D" und „T" nicht erfolgt, daß es im Hochalemannischen
das „K" nicht wie im Hochdeutschen gibt, daß hier dagegen ein Vokalreichtum
beobachtet werden kann wie in keiner anderen Stammessprache. Sollen
Kinder und Lehrer nicht fortwährend frustriert werden, müssen dem Lehrer diese
Tatsachen vor Beginn seiner Tätigkeit im Sprachraum bekannt sein, unabhängig
davon, ob er Deutsch oder ein anderes Schulfach zu unterrichten hat. Daraus
sind Konsequenzen für Lehrerbildung und Lehrerfortbildung zu ziehen.

Aus alledem wird deutlich, daß der Lehrer seine Situation im Zielkonflikt
nicht nur nicht selbst verschuldet hat, sondern auch selbst keine Lösung des
Problems herbeiführen kann, weil es genereller Natur ist. Selbstverständlich kann
von ihm nicht verlangt werden, daß er alemannisch wie eine Fremdsprache erlernt,
ehe er Erstkläßlern gegenübertritt. Aber er muß mit dem Problem vertraut gemacht
werden. Dies wäre einmal dadurch zu erreichen, daß zumindest die künftigen
Primär- und Sekundarstufenlehrer bis zum 10. Schuljahr in ihrer Ausbildung
mit den Grundstrukturen und den wichtigsten Eigenheiten des Alemannischen
vertraut gemacht werden und zwar unabhängig vom Studienfach. Die Deutschlehrer
müssen so weit in die Regionalsprache eindringen, daß sie in der Lage
sind, typische Alemannenfehler motivierend und nicht frustrierend zu beseitigen.
Sie sollen außerdem im Sinne des kontrastiven Sprachunterrichts imstande sein,
Unterschiede zu verdeutlichen, um mit der Zweisprachigkeit ihrer Kinder konstruktiv
umzugehen.

Die Forderung an alle Lehrer nach dem Erwerb von Grundkenntnissen und
Grundverständnis des Alemannischen ist damit zu begründen, daß sie nur so das
Sprachvermögen und die Aufnahmefähigkeit der Kinder richtig einzuschätzen
lernen. Die im Beruf stehenden Lehrer des Sprachgebiets müssen dieses Wissen
im Rahmen der Lehrerfortbildung erwerben und in praktischen Übungen meistern
lernen, um der hier erhobenen Forderung gerecht zu werden.

Sollen die Alemannenkinder eine vernünftige und offene Entwicklung erleben
, darf ihnen also ihre Sprache nicht ausgetrieben werden. Sie sollen das
Hochdeutsche bewußt als die offizielle Amts- und Schulsprache lernen, aber
eben als zweite Sprache, die ihnen das Recht auf ihre Muttersprache nicht nur
beläßt, sondern sie in ihrem Gebrauch bestärkt. Das Training der Hochsprache
muß damit nicht zwangsläufig weniger erfolgreich sein. Im Gegenteil! Die Er-

286


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-03-04/0104