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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
38.1976, Heft 3/4.1976
Seite: 318
(PDF, 38 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-03-04/0136
Ach ja, mein Freund: mich band die tiefe Liebe des Schauenden an alle Gegenstände
, die in mein Blickfeld traten. Obwohl keines meiner Lebensjahre ohne
Krieg, ohne Stürze durch Abgründe blieb, war mir das Dasein kein atemberaubendes
Schauspiel. Ich blieb Markgräfler. Es konnte mich nichts zwingen, in
diesem Schauspiel des öffentlichen eine Rolle zu übernehmen. Nichts riß mich
in den europäischen Strudel, in die Wirbel der weltgeschichtlichen Ereignisse; aber
ich suchte den Sinn in den fortwährenden Gegensätzen zu schauen, die auf der
Weltbühne zusammenprallen. Ich ahnte im Getrennten den Willen zu Bindungen,
das geheimnisvolle Verknüpfen zwischen Größtem und Geringstem, zwischen
Altem und Neuem, zwischen dem Sinn und dem Zufallenden, dem, was der
Unverständige Zufall nennt. Daß in der Seeschlacht bei Trafalgar eine Laus
Lebensretterin werden kann, ein unverstandenes Wort einem landfremden, einfältigen
Handwerksburschen zu Amsterdam Quelle unsagbaren Erkennens der
Geheimnisse Leben und Tod wird: das zu schauen, war mir im ewigen
Fließen des Geschehens, dem ständigen Hin und Her zwischen Endlichem und
Unendlichem, Zeit und Ewigkeit das Wert-volle! Jede Tauperle spiegelt das
Auge des Schöpfers: ich mußte deuten, indem ich gestaltete!

„Keiner ist so alt, der nicht noch ein Jahr leben will, keiner so jung, der
nicht heut' noch sterben kann": diese „Weisheit der Gasse" war mir, während ich
wirkte, stets nahe.

Ich freute mich, wenn Du es bei Deiner Rede den Markgräflern sagtest, auch das,
was ich vorhin meinte. Du solltest nicht von dem sprechen, was das nächste Vierteljahrhundert
bringen kann: ob etwa dann die Staaten, die zur Stunde darum
streiten, wer von ihnen Atombomben haben dürfe, nicht fürchten müssen, von der
Bombe eines schnell wachsenden afrikanischen Negerstaates heimgesucht zu werden;
ob nicht plötzlich doch die wohlgehegten 50 000 Panzer der Sowjets losrollen,
Explosionen zu entfesseln; auch das Unberechenbare zwischen Millionen-Völkern
magst Du unbeachtet lassen!

Wohl aber magst Du dann jenes Stück aus dem „Rheinländischen Hausfreunde"
erinnern, darin ich unter dem Titel „Warme Winter" im Jahre 1808 von den achtundzwanzig
seltsamen Wintern berichtete, die eine alte Chronik für 700 Jahre
feststellte, beginnend mit dem Jahre 1289, in dem die Jungfrauen am Dreikönigstag
Kränze von Veilchen, Kornblumen und anderen trugen, wo ich den Leser
auffordere, nach sechzig Jahren, wenn er im Großvaterstuhl sitze, den Enkeln
von seinem selbst erlebten Winter zu berichten, von dem des Jahres 1806, da
man zwischen Weihnacht und Neujahr Erdbeeren gegessen habe!

Vor allem aber, mein Freund, hast Du nicht mich zu feiern, sondern unser Volk,
dessen Markgräfler ich blieb, zu welchen Ämtern ich auch aufstieg und das nun
aufgerufen ist wie nie zuvor, sich selber treu zu bleiben.

Wo ein Volk seinen Lebens-Sinn als religiöse Kraft behauptet, kann es nicht
untergehen: irrationale Mächte bestimmen das Selbstbehaupten der Völker. Zu
ihm den mir gemäßen Beitrag gegeben zu haben, dürfte ich mich rühmen. Ich tue
es nicht, weil es mir selbstverständlich war.

Daran denke!

Immer steht List gegen List, immer auch Licht gegen die Finsternis, und meine
Markgräfler sollen Licht meines Sinnes sein: dies wäre das rechte Geschenk zu
meinem einhundertfünfzigsten Gedenken des Fortgehens aus dem Täglichen!
W e n n sie mir etwas schenken wollen!

Und darauf mögen sie nach Deiner Gedenkrede ein Schöpplein trinken oder
auch zwei oder drei; aber es müßte ein Markgräfler aus der besten Lage sein.

Sag' ihnen, daß ich dies erwarte!

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