http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-03-04/0172
Im Gegensatz zu diesem Blatt ist nun die lithographierte Zeichnung von Lucian
Reich eine eigentliche Buchillustration — allerdings nicht Illustration zu einem
Buch von Hebel. Reichs „Hieronymus" schildert in „Lebensbildern aus der Baar
und dem Schwarzwalde" romanhaft Leben, Sitten und Bräuche der Vorfahren
in „stillschweigendem Vergleiche zur Gegenwart", wie der Verfasser im Vorwort
schreibt u). Jedem Kapitel geht ein ganzseitiges Bild voraus, dem ein als Motto
dienender Sinnspruch meist aus den Gedichten Hebels, aber auch etwas von Goethe,
zugrunde liegt. Im übrigen kümmert sich Reich nicht sonderlich um den Kontext
dieser Verse: zu einer Strophe aus dem „Schmelzofen", in der vom Feuer die Rede
ist, zeichnet er einen Köhler im Wald!
So hält er sich auch in dem als Frontispiz dienenden Bild zur „Vergänglichkeit
" nur oberflächlich an die Gedicht-Situation. Vater und Sohn gehen als nächtliche
Wanderer zu Fuß, sind ohnehin zu bloßen Staffagefigürchen geworden, denn
im Zentrum des Blattes steht die Ruine als ein überdeutliches Symbol für die Hinfälligkeit
des Irdischen. Überdeutlich auch in dem Sinne, daß sich da beinahe alle
Steine und Gräser zählen lassen, und zwar auch auf der im Schatten des Vollmondlichts
liegenden Seite des Hügels. Der zerfallene Bau ist gleichsam ein
Mahnfinger, der aber hier nicht in eine jenseitige Welt, sondern auf das Spruchband
weist, über dem die Sterne, da sie ja in Hebels Text vorkommen, ein eher
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1976-03-04/0172