Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fm
Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
40.1978, Heft 3/4.1978
Seite: 333
(PDF, 42 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1978-03-04/0119
Jedenfalls die Waldbauern wußten, wessen Kind der „Änis" war und setzten
nach Bereinigung „wer zahlt de Änis?", den Schlußstrich unter die Hofverkaufsverhandlungen
, benachrichtigten den Vogt und erschienen zur bestimmten Zeit
und Stunde, frisch gewaschen und rasiert mit dem Familienclan, flankiert von
„Beystand", „Pfläger" und den „Schwiegerdochtersvädder", auf dem Gericht,
und wenn sie Glück hatten, sprang der Hofhund auch noch hinterher.

Klar und kräftig gaben sie zu Protokoll, was sie mit ihren Lieben im Einzelnen
beschlossen hatten, und der Gerichtsschreiber schrieb und schwitzte, schwitzte und
schrieb das Gesagte auf. Am Schluß wurde das Protokoll vorgelesen; alle erklärten,
daß dies Gehörte ihr „freier und einziger Wille sei", worauf der Gerichtsschreiber
den letzten Satz schrieb: „alles gedräulich und ohne Gefährde angeferdigt", das
Datum daruntersetzte, alle unterschreiben ließ und jenen, die ihren Namen nicht
schreiben konnten, gestattete, das Handzeichen mit drei Kreuzen zu setzen,
welches der Vogt im Zusatz als „ächt" bestätigte. Oftmals am selben Tag, manchmal
auch einige Zeit später, wurde das Vertragsprotokoll „gerichtlich verwähr-
schaftet", das heißt, der Kaufbrief war mit dem Tag der „Verwährschaftung"
rechtskräftig.

Auch nach Einführung des damals neuen „badischen Landrechts" im Jahre 1810
erfolgten die Hofübergabeverkäufe nach alter Tradition im bewährten Stil, nur
war jetzt ein ortsfremder „Teilungskommissar", welcher auf dem neugeschaffenen
Bezirksamt saß, zuständig und manchmal mit seiner „Chaise" ins Dorf oder nach
Tegernau kam und für die Waldbauern der umliegenden Ortschaften je nach Fall
einen „Gang nach Dägernau" oder „Schöpfe" notwendig machte; für Bürchau und
Neuenweg war vorübergehend das Bezirksamt Schönau zuständig.

Doch auch die Herren „Kommisäre" beliebten anfänglich noch „Schließ, Natural-
schleiß, Kaufschilling, Wurf und Änis" zu schreiben, so wie es Verkäufer und
Käufer bestimmten.

Die Waldbauern von einst verirrten sich dabei nicht im Paragraphenwald und
brauchten auch keinen, im Jahre 1810, im neuen badischen Landrecht verankerten
Paragraphen 1602: „Jedes dunkle oder zweideutige Geding wird wider den Verkäufer
ausgelegt", sondern gingen aufrecht und redlich in eindeutiger Absicht den
von den Vorvätern gezeichneten Weg und gaben gleich ihnen „aufrecht und redlich
zu kaufen", so wie es im Kaufbrief geschrieben stand.

Sie vertrauten dem geschriebenen Wort, aus welchem ihr gradliniges Denken,
gerechtes Fühlen, fürsorgliches Handeln und kerniges Wesen herausleuchtet, das
im Rechtsleben, obwohl sehr oft abweichend vom jeweils gültigen Landrecht
gesetzt, seit alten Zeiten rechtskräftig und somit unantastbar war und im Privatleben
den gebührenden Respekt genoß.

Sprachlich klar und einfach drückte das geschriebene Wort das vernünftig
Gedachte und verständlich Gesagte aus, bot im Zusammenhang in der Satzaussage
zum Satzgegenstand keinen Widerspruch, wurde im gemeinsamen Willen geboren
und geschrieben, so daß es in einstiger Zeit innerhalb der Familie Streitigkeiten um
Geld und Besitz weitgehend vermied und Zwietracht verhinderte. Kein Zivilrichter
von heute hätte in einstiger Zeit im Waldland sein gesichertes Ein- und
Auskommen gefunden, denn unsere Altvorderen ordneten präzisiert ihre persönlichen
Angelegenheiten längst vor Eintritt des jeweiligen Rechtsfalles in Wort und
Schrift selbst und bestätigten damit über die Vergänglichkeit hinaus den lebenden
und kommenden Generationen die eherne Gültigkeit des wahrhaften Faust:

„Wer kann was Dummes, wer was Kluges denken,
das nicht die Vorwelt schon gedacht".

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