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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
41.1979, Heft 1/2.1979
Seite: 103
(PDF, 39 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1979-01-02/0109
Fürwahr ein erstaunliches Buch, wie wohl seit dem Grundbuch des Urhebers
Johann Peter Hebel, der 120 Jahre zuvor seine „Alemannischen Gedichte" ausgehen
ließ, im alemannischen Bereich und vielleicht überhaupt kein ebenbürtiges
Mundartbuch an den Tag getreten ist. Der Leser hält einen Band von 452 Seiten
in der Hand, und der Dichter erklärt in einem Vermerk, daß alle diese Verse
vor dem Sommer 1914 entstanden seien, wiewohl der Band erst Mitte Februar
1923 herauskam. Welche seelische Erlebnisfülle steht dahinter und darin, seit
Hermann Burte das erste Mundartgedicht im fernen Paris niederschrieb und sich
so gleichsam heimdichtete! Die Maßgebenden der Heimat erkannten den hohen
Rang der „Madlee". Wie wir bereits erwähnten, zeichnete die Universität
Freiburg den Dichter 1924 mit dem Ehrendoktorat aus, und als der Heimatstaat
den „Hebel-Preis" schuf, sprach er ihn 1936 Hermann Burte als erstem zu.

Hermann Burtes Verhältnis zu Johann Peter Hebel

Ein Vergleich drängt sich auf. Gehen wir vom Gemeinsamen aus: Beide
Dichter sahen in der gleichen Talschaft ihre Heimat, sie sprachen die gleiche
Wiesentaler Mundart, dichteten in ihr und mit ihr, und müßte man im ganzen
deutschen Sprachgebiet fünf große, wirklich schöpferische Mundartdichter aufzählen
— die beiden Wiesentaler wären dabei. Beide erweisen ihre Meisterschaft
aber auch in der Hochsprache. Dabei zeigen sich freilich schon Unterschiede, die
sich zum Teil aus Eigenart und Haltung erklären. Der Kalendermann Hebel begegnet
uns in seinen Erzählungen des „Rheinländischen Hausfreundes", die er
später in seinem „Schatzkästlein" gesammelt hat, als behaglicher Erzähler, der
den Volkston sucht und trifft, während Burte seine Worte ballt und seine Sätze
eigenwillig baut. Hebel wählte das Gehörte, Gewachsene und Geläufige, Burte
aber wollte seinen persönlich geprägten, unverwechselbaren Stil. Hebel fühlte
dem Volke gleichsam den Puls und lenkte es behutsam, Burte aber will es in sein
eigenes Erleben hineinreißen. Nun, diese Verschiedenheit hängt mit der Grundlage
der beiden Dichter zusammen. Hebel ist Epiker, der in seinen Kurzgeschichten
seine Kunst im Plauderton verhüllt, und als Poet sucht er — sei es als
Ausdruck seiner Seele oder sei es zur Beschwichtigung der Spannung zweier
Seelen in seiner Brust — das Idyll. Burte aber ist Dramatiker von Geblüt, kräftig
im Zugriff und voller Lust, die Gegensätze zuzuspitzen. Seine Verse, selbst in der
Mundart, sind weniger gesungen als kunstreich gestanzt. Wo Hebel sogar im
Gedicht den natürlichen Redefluß anstrebt, erscheint Burte geradezu als Virtuose
anspruchsvoller poetischer Formen. In der Prosa erkennen wir die entsprechende
Gangart. Man vergleiche Gestaltungen eines nämlichen Stoffes. Hebel gab als
schlichter Darsteller die „Biblischen Erzählungen" heraus und brachte darin Jesus
einfachen Kindern nahe, während Burte „Krist vor Gericht" als fesselndes Drama
behandelt und dabei — wie Otfried von Weissenburg gut tausend Jahre zuvor in
der Frühe germanischer Dichtung — den Namen Christi mit „K" schrieb. Gewiß,
Hebel war Theologe und Schulmann, Burte aber freischaffender, auch wortschöpferischer
Künstler, der sich an erwachsene Theaterbesucher wandte. Dennoch
spürt man einen unverwischbaren Wesensunterschied: Hebel will zu einem mildgetönten
Menschenbild christlich beseelter Aufklärung hinführen, während Burte
die dramatischen Möglichkeiten vor den Schranken eines Gerichtshofes nutzt.

Bei Hebels Dichtung atmet man die freie Luft des Weltbürgertums. Burte kannte
und schätzte die Kultur Westeuropas, zumal Englands und Frankreichs, von
Reisen und als Übersetzer, ebenfalls gar wohl. Das Deutschnationale aber war
bei ihm vorherrschend, während z. B. Hebel beim Kampfe gegen Napoleon nicht
in den Chor der Freiheitsdichter einstimmte. Ja, wir gestehen, daß wir angesichts
der Machtgier Napoleons und seiner Geringschätzung des Menschen von Hebel
gerne kräftigere Töne vernommen hätten. Dafür kenne der Hausfreund „keine

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