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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
41.1979, Heft 1/2.1979
Seite: 132
(PDF, 39 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1979-01-02/0138
seine Reaktion auf Erfahrenes und Gefühltes unmittelbar und ungetrübt,
aber ebenso überall durch Jahrzehnte von den bestimmenden Eindrücken
getrennt. Diese gehen in die Kindheit und Jugendjahre zurück 77).

Ergebnisse

Nach dem Ausweis der theoretischen Schriften ist Hebel kein naiver, sondern
ein in hohem Grade reflektierender Schriftsteller. Der Gegenstand seines Denkens
ist der Mensch, genauer genommen, der Partner, und so kreist es auch immer
wieder um die Frage, wie die Kommunikation zwischen Menschen überhaupt
möglich sei. Zwangsweise folgt hieraus die starke Beachtung der Sprache als des
vornehmsten Elements gegenseitiger Beziehungen. Da er in ihr das Mittel findet,
den Partner nicht nur intellektuell, sondern an allen seelischen Kräften anzurühren
, fordert er von sich selber ihre weitestgehende Kultivierung. Er geht das
unmöglich scheinende Wagnis ein, sich eine „Manier" zu schaffen, die jedem Bildungsstand
und jedem Lebensalter gleich gerecht sei. Die Marksteine auf diesem
Weg sind die verschiedenen Denkschriften und Gutachten. Dabei greift das letzte
über die „Biblischen Geschichten" mit den drei Postulaten Angemessenheit, Verständlichkeit
und Güte noch einmal auf, was schon der junge Lehrer in seinen Bemerkungen
über den jugendgemäßen Unterricht angetönt hatte. Auf den gleichen
Tenor sind auch die übrigen theoretischen Abhandlungen abgestimmt. Die Umsetzung
der Forderungen ins schriftstellerische Werk wurde ermöglicht durch
die ernsthafte Beschäftigung mit jeder lernbaren Wissenschaft. So steht auch Hebels
ganze Dichtung auf einem starken wissenschaftlichen Fundament.

Während die „Alemannischen Gedichte" das Produkt eines lange heimlich
mutterenden und bruttlenden Heimwehs 78) waren, deren plötzlicher Ausbruch und
ebenso rasches Versiegen die Gewalt der langen Stauung beweisen, läßt sich für die
Entstehung der Kalendergeschichten keine ähnliche innere Notwendigkeit nachweisen
. Im Gegenteil: Die Entstehungsgeschichte des „Rheinländischen Hausfreunds
" widerspricht jeder Vorstellung, die man sich naiverweise über die Empfängnis
eines Kunstwerks zu machen gewohnt ist. Da ist nirgends die Rede von
Inspiration oder Eingebung, von besonderer Schaffenslust oder intensivem Gestaltungsdrang
, aber man vernimmt auch keine Klage über fruchtloses Ringen mit
Stoff und Sprache oder über geistige Dürre. Sondern man hört von aufgezwungener
Mitarbeit an einem nur mit Vorbehalten betrachteten Werk, vom Versuch, die
Redaktionsarbeit abzuschieben, von übermäßiger zeitliche Belastung bei zu geringer
Honorierung, von Querelen mit der Zensur, von einem Rücktritt aus berechtigter
Verärgerung, von der Wiederaufnahme der Arbeit nach vier Jahren aufgrund
eines andern Auftrags und von der endgültigen Niederlegung wegen Überlastung
durch die Amtsgeschäfte.

Die Kalendergeschichten sind also Auftragsdichtung wie nur je ein Fürstenlob
oder ein Hochzeitscarmen. Aus freien Stücken hätte Hebel wohl die Gedichte, aber
vermutlich keine einzige Erzählung geschrieben — auch diesem Weisen mußte
seine Weisheit erst entrissen werden. Seine poetische Potenz hätte sich im Unterricht
mit den Schülern und vor allem in der Korrespondenz mit den Freunden
entladen, und dieses intime Publikum hätte ihm genügt, wie die erhaltenen
Briefe zur Genüge darlegen. Vielleicht wäre an der Stelle der Hausfreundmaskerade
ein anderer Mummenschanz aufgezogen worden — das Proteusertum in
Lörrach, das Potentatenspiel mit den Straßburger Freunden und die Mitwirkung
in der Karlsruher Rätsel- und Logogryphenakademie lassen die Vermutung zu,
daß sich der Gestaltungs- und Verkleidungsdrang ein anderes Ventil gesucht
hätte. Dafür, daß es ihn auf den Kalender verwies, gebührt auch dem Konsistorium
ein späterer Dank.

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